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Kopf frei

Kopf frei

Titel: Kopf frei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ute Lauterbach
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meinen?
     
    Ja, schon.
    Kommt Ihnen das nicht suspekt vor? Haben Sie Ihre Meinungen je geändert? Können Sie sicher sein, dass Ihre Meinung die beste aller Zeiten ist?

     
    Um zu einer anderen Meinung zu kommen, muss ich ja erst mal Meinungen austauschen.
    Dann ist Ihr Anliegen der Meinungsbildungsprozess und nicht, die eigene Meinung zu feiern.
     
    Das stimmt.
    In dem Fall ist Ihre Meinung nichts anderes als die lose Markierung eines möglichen Denkweges.
     
    Sind Meinungen jetzt gut oder schlecht? Was ist das Unterscheidungskriterium?
    Wenn wir denn mal in Gut und Schlecht denken wollen, dann sind sie gut, wenn sie als Buschmesser zu neuen Erkenntnissen fungieren, und schlecht, wenn sie den Schlusspunkt hinter alles Wissensmögliche setzen wollen.
     
    Aber wie kann ich in der Welt etwas behaupten, wenn ich nichts weiß?
    Am allerbesten.
     
    Wie meinen Sie das?
    Je weniger Sie davon überzeugt sind, das inkarnierte Wissen zu sein, desto offener und weiter ist Ihr Geist. Das ist der Unterschied zwischen Klugscheißer und Weisem.
     
    Aber in unserer Leistungsgesellschaft kann ich ohne Wissen nicht bestehen. Wenn ich dafür plädiere, keine starren Meinungen zu haben, heißt das nicht, dass ich Uninformiertheit und Dummheit großschreibe.
     
    Hört sich ziemlich riskant an!
    Jeder hat seine Risikoschwelle woanders. Und es ist sympathisch, das Bewusstsein, nicht alles zu wissen, auszustrahlen.
     
    Und ich werde dadurch fehlbarer?
    Gott sei Dank. Sie sind es sowieso.

9
Trainingspunkt
    Chatterer, Blogger, Second-Lifer verwandeln sich
    HABE DEN MUT, DEIN FIRST LIFE ZU WAGEN!
    Es ist viel leichter, den Übernächsten zu lieben als den Nächsten.
    Oskar Stock
     
     
    Die Internetkommunikation bloomt und boomt wie nichts auf der Welt. Da verabreden sich Menschen am Telefon, sich gleich im Chatroom treffen zu wollen. Dabei könnten sie einfach weiter telefonieren und direkt miteinander sprechen ... komisch, oder?
    Schauen wir genauer hin.
    Die Chatterer plaudern locker über dies und das. Sie klönen – es ist so ein Dahinsprechen beziehungsweise im Net: Dahinschreiben. Immerhin in Dialogform: abwechselnd. Hin und her.
    Die Blogger schreiben sozusagen mehr oder weniger öffentlich ihr Tagebuch und wer kann und will, darf kommentieren. Oder sie äußern sich im Blogroom, wo themenbezogen geschrieben wird. Wer will, kann sich zum Beispiel darüber auslassen, wie ihm der Urlaub auf La Gomera gefallen hat. Aber auch da ist er ganz frei und könnte ins Gomera-Gästebuch notieren: »Ich war noch nie da.« Oder nicht themenbezogen: der Blogroom als Begegnungsstelle für eine Personengruppe. Diese Eingeweihten haben das Kennwort und können dann uferlos abbloggen.
    Die Second-Lifer gehen aufs Ganze: Sie erfinden sich eine neue Identität und bringen sich dann als »DornNelkchen«, »Jesa Christa«
oder »Huriger Altgermane« ein. In der erfundenen Identität kennt man sie und spricht sie so an. So wird diese Identität gefestigt. Und wer im Einkaufsladen »Marlies Hoffmann« trifft, weiß gar nicht, dass er in Wirklichkeit vor Kleopatra der Ersten steht. Oder ist es in Wirklichkeit doch Marlies Hoffmann?
    Das hier vorgestellte Training hat »Mehr Kontakt zu sich selbst und zum anderen« sowie »Mehr Glück und Gegenwartserleben« auf seiner Fahne stehen. Wie passt das zum Bloom and Boom der Internetkontakte? Ganz einfach: Wenn wir im Net miteinander »netten«, können wir ungezwungener, freier, lockerer, unverbindlicher, geschützter, offener, mutiger, zumutiger, dreister, egozentrischer sein. Dadurch lockern wir das Regelkorsett unseres Über-Ichs. Das ist attraktiv und entlastend. Die vielen Gründe für die Begehrtheit der Net(t)erei ließen sich auf den paradoxen Punkt bringen:
    Mehr Unmittelbarkeit im Austausch durch weniger Unmittelbarkeit.
    Kommentar: Boom and Bloom der Internet(t)kontakte beweisen, wie groß das Bedürfnis ist, sich persönlich darzustellen und auszudrücken. Es wird zwar nicht immer gehört und erwidert, aber dafür gespeichert. Ein »bleibender« Fußabdruck im elektronischen Weltspeicher. Die ungezwungenere, weniger sozialangepasste Ausdrucksweise hat ganz bestimmt befreiende Wirkung. Geradezu therapeutisch wertvoll ist die Erfindung eines zweiten Lebens, einer anderen Identität. Was da erfunden wird, ist nie von ungefähr, sondern in der Regel ein Kompensations-Ich – gebastelt aus nicht gelebten, verdrängten Persönlichkeitsanteilen. Der angeknackste Selbstwert von Marlies sucht Linderung

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