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Kopf in der Schlinge

Kopf in der Schlinge

Titel: Kopf in der Schlinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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und grün lackierte Fingernägel. Er war ganz in die Hochglanzseiten eines Pornoheftes vertieft.
    »Onkel Eddie hat gesagt, ich kann den hier auffüllen. Meinem Pickup ist etwa einen Block von hier das Benzin ausgegangen. Der Kanister gehört übrigens mir«, sagte ich und hielt ihn in die Höhe. Ich wollte nicht, daß der Typ hinterher behauptete, ich hätte ihn gestohlen. Bei meinem derzeitigen Ruf als kaltblütige Killerin hätte der Diebstahl eines Benzinkanisters exakt ins Bild gepaßt. Ich bildete mir ein, einen Anflug von Unsicherheit über sein Gesicht huschen zu sehen, doch ich machte mich ans Werk, als gehörte mir der Laden.
    Ich ging zur Selbstbedienungs-Zapfsäule und warf ihm einen Seitenblick zu, um zu sehen, ob er telefonierte. Er starrte durch die Fensterscheibe und beobachtete mich mit ausdrucksloser Miene, während ich den Kanister füllte. Die Summe belief sich auf 7,45 Dollar. Ich ging zum Büro zurück und reichte ihm einen Zehner, den er in die Tasche steckte, ohne mir Wechselgeld anzubieten. Sein Blick sank wieder auf das Pornoheft, als ich davonging. Schön zu wissen, daß — egal wie tief du sinkst — immer jemand bereit ist, auf deine Kosten Profit zu machen. Ich kehrte zu meinem Auto zurück, wo ich die zwanzig Liter Benzin in den Tank füllte. Dann stellte ich den Kanister wieder in den Kofferraum und fuhr los. Die Benzinuhr zeigte nun fast auf halbvoll.
    Mein Herz klopfte, als hätte ich eine Verfolgungsjagd hinter mir, und vielleicht hatte ich das auch. Offenbar würden von jetzt an alle meine Handlungen beobachtet und wenn möglich behindert werden. Noch nie hatte ich mich meiner Umgebung so entfremdet gefühlt. Ich befand mich ohnehin schon auf unbekanntem Terrain, und mein Wohlbefinden hing sowohl in direktem als auch in übertragenem Sinn von alltäglichen Freundlichkeiten ab. Jetzt wurde ich geschnitten, und das beängstigte mich. Als ich den fließenden Verkehr musterte, wurde mir klar, daß mein hellblauer VW unter all den Pickups, Wohnmobilen, Nutzfahrzeugen, Pferdefuhrwerken und Geländewagen überaus auffällig wirkte.
    Neun Kilometer außerhalb der Stadt bog ich auf die gekieste Fläche neben dem Rainbow Café ein, wo ich mich links hielt und in eine Parklücke gegenüber den großen Mülltonnen fuhr. Ich blieb einen Moment lang sitzen und versuchte, »meine Mitte zu finden«, wie man in Kalifornien sagt. Ich habe keine Ahnung, was das heißen soll, aber es schien mir auf meine gegenwärtige Lage zu passen. Wenn ich schon vom Stamm ausgestoßen wurde, sollte ich lieber dafür sorgen, daß ich mein »Ego« im Griff hatte, bevor ich weitermachte. Ich atmete ein paarmal tief durch und stieg aus. Der Morgen war bedeckt, und die Berge ragten in der Ferne auf wie ein Haufen Gewitterwolken. Hier in der Gegend, wo weite Landstriche öde und unbebaut waren, pfiff der Wind über die Flächen und kühlte alles, was ihm in den Weg kam. Schneeflocken hingen wie Staubkörner in der eisigen Luft.
    Als ich den gekiesten Parkplatz überquerte, kam ich mir extrem auffällig vor. Ich blickte zu den Fenstern des Lokals hinüber und hätte schwören können, daß ich zwei Gäste mich anstarren und dann den Blick abwenden sah. Kälte durchfuhr mich, die geballte, uralte Macht der Achtung durch die Sippe. Ich stellte mir vor, wie Gottesdienste stattfanden und Katholiken, Baptisten und Lutheraner allesamt Kirchenlieder sangen, Dank sagten und aufmerksam ihrer jeweiligen Predigt lauschten. Danach würden die Gläubigen von Nota Lake in die hiesigen Lokale drängen, nach wie vor im Sonntagsstaat und hungrig aufs Mittagessen. Ich sprach selbst ein kleines Gebet, als ich durch die Tür ging.
    Das Lokal war nur spärlich besucht. Ich sah mich rasch um. Am Tresen saß James Tennyson vor einer Tasse Kaffee. Er trug Jeans und hatte die Zeitung aufgeschlagen vor sich liegen. Daneben befanden sich ein leeres Wasserglas und eine zerknüllte blauschwarze Alka-Seltzer-Verpackung. Weder seine Frau Jo noch sein Baby, dessen Name mir nicht mehr einfiel, waren irgendwo zu sehen. Rafers Tochter Barrett arbeitete mit dem Rücken zu mir am Grill. Sie trug eine große weiße Schürze über Jeans und T-Shirt. Eine weiße Kochmütze bedeckte ihr locker herabfallendes Haar. Energisch agierte sie mit ihrem Spatel, drehte Würstchen um und warf vier Pfannkuchen in die Luft. Vor meinen Augen manövrierte sie die dampfenden Speisen auf zwei bereitstehende Teller. Nancy nahm sie und brachte sie dem Paar, das am Fenster saß.

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