Kopf in der Schlinge
Hand. Cecilia war so klein, daß sie ihre Kleidung garantiert in der Kinderabteilung kaufen mußte. Ihre heutige Kluft bestand aus einem langen roten Sweatshirt mit einer Teddybärenapplikation auf der Brust sowie weißen Leggings und riesigen Joggingschuhen. Ihre Beine wirkten so spindeldürr wie die eines Fohlens, einschließlich der knochigen Knie. »Für Sie ist ein Anruf gekommen. Alice möchte, daß Sie sich bei ihr melden. Ich habe die Nummer diesmal aufgeschrieben, aber in Zukunft soll sie versuchen, Sie bei Selma zu erreichen. Ich leite hier ein Motel, keinen Auftragsdienst.«
Ihr beleidigter Tonfall war ärgerlich und veranlaßte mich zu einer Gegenklage. »Ach, übrigens, wo ich Sie gerade treffe: Glauben Sie, Sie könnten vielleicht ein bißchen heizen? Die Hütte ist nahezu unbewohnbar; ich friere bald ein«, sagte ich.
Ein Anflug von Wut zog über ihre Miene. »Am ersten März wird hier draußen das Heizöl abgestellt. Ich kann nicht einfach die Lieferung herbeipfeifen, bloß weil plötzlich ein paar Kurzurlauber auftauchen und einen mittleren Aufstand produzieren.« Ihr Tonfall ließ vermuten, daß sie im Lauf des Tages schon mit mehreren Beschwerden konfrontiert worden war.
»Tja, tun Sie, was Sie können. Ich fände es nur schade, wenn ich mich bei Selma beschweren müßte, da sie ja die Rechnung übernimmt.«
Cecilia versetzte der Tür einen kleinen Stoß, als sie wieder hineinging. Falls mir noch jemand telefonisch etwas ausrichten wollte, würde ich wohl Pech haben. Ich ging an das Münztelefon und suchte in meiner Handtasche nach Kleingeld. In einer Ecke fand ich ein kleines Münzversteck, dazu einige Haare und ein verdrecktes Taschentuch. Ich warf das Geld in den Schlitz und wählte. Alice nahm beim vierten Klingeln ab, gerade als ich damit rechnete, daß sich ihr Anrufbeantworter einschalten würde. »Hallo?«
»Hallo, Alice. Kinsey Millhone. Ich habe Ihre Nachricht bekommen. Sind Sie in der Arbeit oder zu Hause?«
»Zu Hause. Ich muß erst um vier im Tiny’s sein. Ich war gerade dabei, mir die Haare zu machen. Warten Sie mal einen Moment, bis ich die Lockenwickler auf der einen Seite draußen habe. Ah, schon besser. Es geht doch nichts über einen Satz Stacheln, die einen ins Ohr piken. Hören Sie, ich weiß nicht, ob Ihnen das weiterhilft, aber ich sag’s Ihnen einfach mal. Die Kellnerin, die an der Theke im Rainbow arbeitet, ist eine gute Freundin von mir. Sie heißt Nancy. Ich habe Tom erwähnt und ihr erzählt, warum Sie hier sind. Sie meint, er sei an jenem Abend damals gegen halb neun reingekommen und kurz bevor sie schlossen wieder gegangen. Sie können selbst mit ihr sprechen, wenn Sie wollen.«
»Ist das die Schwarze?«
»Nee, nee. Das ist Barrett, Rafer LaMotts Tochter. Nancy arbeitet auch noch an der Kasse. Braunes Haar, Vierzigerin. Sie haben sie bestimmt im Lokal gesehen, denn Nancy hat Sie nämlich auch gesehen.«
»Was hat sie sonst noch gesagt? War er allein oder in Begleitung?«
»Das habe ich auch gefragt, und sie meint, er sei allein gewesen, zumindest soweit sie das sehen konnte. Sie sagt, er habe einen Cheeseburger und Pommes gegessen, Kaffee getrunken, ein paar Songs in der Musikbox gedrückt, seine Rechnung bezahlt und sei gegen halb zehn wieder gegangen, als sie gerade die Abrechnung machte. Wie gesagt, womöglich hat es gar nichts zu bedeuten, aber sie sagt, sonst sei er nie um diese Zeit gekommen. Sie wissen ja, als er gefunden wurde, war er draußen auf dem Highway 395, aber er war in Richtung Berge unterwegs, nicht zu sich nach Hause.«
»Daran kann ich mich erinnern«, sagte ich. »Der Leichenbeschauer hat erwähnt, daß Tom kurz zuvor gegessen hatte. Selma zufolge hätte er an dem Abend zu Hause sein sollen. Er hat ihr nicht einmal eine Nachricht hinterlassen. Als sie von der Kirche zurückkam, lag er schon tot in der Notaufnahme. Vielleicht hat er einen Anruf bekommen und ist losgefahren, um sich mit jemandem zu treffen.«
»Vielleicht hat er aber auch nur Hunger gekriegt. Selma ist eine von der Sorte, die ihn zwingt, Grünzeug und braunen Reis zu essen. Womöglich hat er sich davongeschlichen, um etwas Vernünftiges zu futtern.« Sie lachte in sich hinein. »Ich habe schon immer gesagt, das Essen da draußen bringt einen um. Ich wette, seine Arterien sind von dem ganzen Fett, das er zu sich genommen hat, zusammengebrochen.«
»Zumindest wissen wir, wo er in der Stunde vor seinem Tod war.«
»Also, das ist ja wohl kaum etwas Neues. Nancy sagt, das
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