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Kopf in der Schlinge

Kopf in der Schlinge

Titel: Kopf in der Schlinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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erkennen. Er hielt die Hände gegen das Glas, um besser hereinsehen zu können. Es mußte frustrierend sein, festzustellen, daß die Dunkelheit undurchdringlich war. Ich stand reglos da, konnte aber seine Bewegungen draußen verfolgen. Ein winziges Geräusch, vielleicht das leise Kratzen eines Klauenhammers, der in den Spalt zwischen Scheibe und Rahmen gezwängt wurde.
    Fieberhaft ging ich in Gedanken sämtliche Gegenstände in der Hütte durch, in der Hoffnung, auf etwas zu kommen, das ich als Waffe benutzen konnte. Toilettenpapier, Teppich, Kleiderbügel, Bügelbrett. Bügeleisen. Ich stellte die Vorhangstange vorsichtig beiseite, um kein Geräusch zu machen. Dann schlich ich zum Wandschrank und tastete mich durch das Dunkel, bis meine Finger das Bügelbrett berührten. Ich stellte mich auf die Zehenspitzen und nahm das Eisen vom oberen Brett, während ich mit der anderen Hand die Umgebung abschirmte, damit ich nirgends anstieß. Ich suchte nach dem Stecker und behielt die Stifte in der Hand, während ich das Kabel abwickelte. Blind tastete ich nach der Steckdose neben dem Waschbecken, steckte die Stifte ein und drehte den Temperaturregler am Bügeleisen so weit hoch, wie es ging. Dann stellte ich das Eisen senkrecht auf die Ablage. Ich blickte wieder zum Fenster. Die Silhouette von Kopf und Schultern war nicht mehr zu sehen.
    Sachte bahnte ich mir den Weg durchs Zimmer zur Tür. Ich beugte mich dicht heran und preßte mein Ohr ans Türschloß, stets bemüht, nicht an den Stuhl zu stoßen. Ich hörte, wie der Dietrich wieder ins Schloß geschoben wurde. Dann vernahm ich, wie sich der winzige Drehmomentschlüssel zu seinem Gegenstück gesellte und die zwei Metallstifte über die Zuhaltungen krochen. Hinter mir konnte ich das Bügeleisen aus dem Badezimmer ticken hören, während es sich erhitzte. Ich hatte den Regler auf »Leinen« gestellt, einen Stoff, der bekanntlich leichter Falten wirft als Menschenfleisch. Ich sehnte mich danach, das Gewicht des Eisens in der Hand zu fühlen, wagte aber noch nicht, den Stecker aus der Dose zu ziehen. Ich verspürte einen Schmerz in der Brust, dort, wo der gummiartige Herzmuskel gegen die hölzernen Pfähle meines Brustkorbs hämmerte. Ich hatte selbst schon einige Schlösser geknackt und wußte genau, welcher Geduld es dazu bedurfte. Mir war noch niemand begegnet, der mit Handschuhen einen Dietrich hätte bedienen können, also durfte ich vermuten, daß er mit bloßen Händen ans Werk ging. Es kam mir so vor, als hörte ich aus den Tiefen des Schlosses den Dietrich über die Zuhaltungen gleiten und sie eine nach der anderen aufheben.
    Ich legte die rechte Hand sachte auf den Türknopf. Ich spürte, wie er sich unter meinen Fingern drehte. Der Stuhl blieb an Ort und Stelle, während ich einen schnellen Spitzentanz durch den Raum und ins Badezimmer vollführte. Ich fühlte die Hitze, die das Bügeleisen ausstrahlte, als ich den Stecker aus der Wand zog. Ich schlang die Finger um seinen Griff und kehrte an die Tür zurück, wo ich meinen Wachposten wieder bezog. Mein nächtlicher Besucher war jetzt gerade dabei, die Tür aufzudrücken, vermutlich auf der Hut vor knarrenden Geräuschen, die mich auf seine Anwesenheit aufmerksam machen könnten. Ich starrte auf den Türrahmen und wartete, daß er endlich erschiene. Er drückte. Der Stuhl begann sich vorzuschieben. Verstohlen wie eine Spinne kamen seine Finger um den Türrahmen gekrochen. Ich machte einen Satz nach vorn, das Eisen in der vorgestreckten Hand. Ich hatte mein Timing für gut gehalten, aber er war schneller als erwartet. Ich erwischte ihn zwar, allerdings erst, als er die Tür bereits aufgetreten hatte. Der Stuhl flog an mir vorbei. Ich roch den beißenden, chemischen Gestank verbrannter Wolle. Erneut drückte ich das Eisen gegen ihn. Diesmal spürte ich versengtes Fleisch. Er stieß einen wüsten Fluch aus — kein Wort, sondern ein Aufschrei.
    Gleichzeitig holte er aus und traf mich mit der Faust ins Gesicht. Aus der Balance geraten, stolperte ich rückwärts. Das Eisen flog mir aus der Hand und schlitterte lärmend über den Fußboden. Er war schnell. Bevor ich mir über die Situation im klaren war, hatte er mir die Füße weggetreten. Ich fiel um. Er drehte mir den Arm auf den Rücken und preßte mir sein Knie ins Kreuz. Sein Gewicht machte mir das Atmen schwer, und binnen Minuten wußte ich, daß ich bewußtlos werden würde, wenn er nicht lockerließ. Ich bekam nicht genügend Luft in die Lungen, um einen Ton von

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