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Kopf in der Schlinge

Kopf in der Schlinge

Titel: Kopf in der Schlinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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ein breiter Strom eisiger Luft ins Gesicht schlug. Die Straße glänzte vor Feuchtigkeit, und der Schnee wehte in diagonalen Linien über die Fahrbahn. Zu dieser Stunde lag eine beruhigende Stille über der Landschaft. Bis jetzt blieb der Schnee zwar nicht liegen, aber ich konnte einen dünnen, weißen Überzug auf Baumstämmen und eine lockere Ansammlung auf den toten, unkrautüberwucherten Feldern erkennen.
    Das Krankenhaus war lang und flach, ein einstöckiges Gebäude, das sich in einer geraden Linie erstreckte. Die Fassade war eine Mischung aus Backstein und Verputz, und darüber erhob sich ein Schindeldach aus Dachpappe. Die Parkfläche vor dem Eingang zur Ambulanz wirkte verlassen. Die Notaufnahme war leer, obwohl sich die paar guten Seelen, die Dienst hatten, aufrafften und bald erschienen. Eine davon war eine Verwaltungsangestellte, auf deren Namensschild L. Lippincott stand. Ich rätselte: Lucille, Louise, Lillian, Lula.
    Ms. Lippincotts Blick wandte sich von meinem stachligen Fingerbukett ab. »Wie sind Sie gestürzt?«
    »Gar nicht. Ich wurde überfallen«, erwiderte ich und berichtete ihr in abgekürzter Version von dem Angriff.
    Ihr Gesichtsausdruck ging von Widerwillen zu Skepsis über, als müßten zwangsläufig Teile der Geschichte fehlen, die ich absichtlich unterschlug. Vielleicht phantasierte sie von einer bizarren Form der Selbstbefriedigung oder von Sado-Maso-Techniken, die zu schlimm waren, um sie wiederzugeben.
    Ich saß auf einem kleinen gepolsterten Stuhl und nannte meine persönlichen Daten — Name, Heimatadresse, Versicherungsträger — , die sie dann in den Computer eintippte. Sie war Anfang Sechzig, eine großknochige Frau mit grau werdendem Haar, das in perfekte Löckchen gelegt war. Ihr Gesicht sah aus, als sei die halbe Luft entwichen und hätte schlaffe Taschen und Nähte zurückgelassen. Sie trug einen für Krankenschwestern typischen Hosenanzug aus weißem Polyester mit Waffelmuster, der dicke Schulterpolster und große weiße Knöpfe entlang der Vorderseite hatte. »Wohin ist denn Cecilia verschwunden? Sie hat Sie doch hergebracht?«
    »Ich glaube, sie wollte zur Toilette gehen. Gerade saß sie noch da draußen«, sagte ich und wies in den Warteraum. Ein neugewonnenes Talent erlaubte mir, in zwei Richtungen gleichzeitig zu deuten — Zeige- und Mittelfinger nach Nordwesten, Ringfinger und kleiner Finger nach Ostnordost. Ich versuchte, nicht hinzusehen, aber die Versuchung war zu groß.
    Sie machte eine Kopie meiner Versicherungskarte und legte diese dann zur Seite. Dann gab sie einen Druckerbefehl ein, und die Dokumente kamen heraus. Mit meiner verrenkten rechten Hand war ich allerdings außerstande, sie zu unterschreiben. Sie machte einen entsprechenden Vermerk, der besagte, daß ich die finanzielle Verantwortung akzeptiert hätte. Dann beschriftete sie ein Plastikarmband mit meinem Namen und meiner klinikinternen ID-Nummer und befestigte es mit einer Art Lochzange an meinem Handgelenk.
    Mit den Unterlagen in der Hand begleitete sie mich durch eine Tür und wies mir in einem Untersuchungsraum von der Größe einer Gefängniszelle einen Sitzplatz an. Bevor sie ging, steckte sie meine Akte in einen Ständer an der Tür. »Es kommt gleich jemand zu Ihnen.«
    Meine Umgebung sah genauso aus wie jede andere Klinikambulanz, die ich je hatte aufsuchen müssen: beige gesprenkelter, auf Hochglanz gebohnerter Fußboden, von dem man Blut und andere Körperflüssigkeiten leicht entfernen konnte; Schalldämmplatten an der Decke, die sämtliche Angstschreie und Wehklagen schluckten. Der aufdringliche Geruch nach Äthanol ließ mich an Spritzen denken, und ich mußte mich unbedingt und auf der Stelle hinlegen. Ich warf meine Jacke beiseite und erklomm den Untersuchungstisch, wo ich auf dem knisternden Papier lag und an die Decke starrte. Es ging mir nicht gut. Ich zitterte. Das Licht kam mir unnatürlich grell vor, und der Raum bebte. Ich legte mir den linken Arm über die Augen und versuchte, an etwas Schönes zu denken — zum Beispiel an Sex.
    Auf dem Flur vernahm ich ein leises Geräusch, dann kam jemand herein und nahm meine Akte aus dem Ständer an der Tür. »Miss Millhone?« Ich hörte das Klicken eines Kugelschreibers und schlug die Augen auf.
    Die Ambulanzschwester war schwarz, und ihr Namensschild besagte, daß sie V. LaMott hieß. Sie mußte Rafer LaMotts Frau und die Mutter des jungen Mädchens sein, das als Schnellköchin im Rainbow Café arbeitete. Waren sie die einzige

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