Kopf in der Schlinge
afroamerikanische Familie hier in Nota Lake? Wie ihre Tochter war V. LaMott schlank, mit einer Haut im Farbton von Tabak. Ihr Haar war kurz geschnitten, und sie trug kein Make-up. »Ich bin Mrs. LaMott. Meinen Mann haben Sie schon kennengelernt, glaube ich.«
»Wir haben uns kurz unterhalten.«
»Lassen Sie mal die Hand sehen.«
Ich hielt sie in die Höhe. Etwas an der Art, wie sie Rafer erwähnt hatte, ließ mich vermuten, daß er ihr genau erzählt hatte, wie unhöflich er zu mir gewesen war. Sie wirkte wie die Sorte Frau, die ihm deswegen die Hölle heiß gemacht hätte. Hoffentlich.
Ich hielt das Gesicht abgewandt, während sie ihre Untersuchung fortsetzte. Ich merkte, wie ich mich verspannte, doch sie war äußerst vorsichtig und berührte mich nur sanft. Offenbar war keine Schwesternhelferin im Dienst, daher überprüfte sie meine Vitalfunktionen selbst. Sie maß mir die Temperatur mit einem elektronischen Thermometer, das nahezu sofort das Ergebnis nannte, dann hielt sie sich meinen linken Arm gegen den Körper, pumpte die Blutdruckmanschette auf und las den Wert ab. Ihre Hände waren warm, während sich meine blutleer anfühlten. Sie machte ein paar Notizen auf meiner Akte.
»Was heißt das V ?« fragte ich.
»Viktoria. Sie können mich Vicky nennen, wenn Sie wollen. Wir sind hier nicht förmlich. Nehmen Sie irgendwelche Medikamente?«
»Die Antibabypille.«
»Irgendwelche Allergien?«
»Nicht daß ich wüßte.«
»Sind Sie innerhalb der letzten zehn Jahre gegen Wundstarrkrampf geimpft worden?«
Plötzlich fiel mir nichts mehr ein. »Ich kann mich nicht erinnern.«
»Dann bringen wir’s mal hinter uns«, sagte sie.
Ich spürte, wie die Panik in mir aufstieg. »Aber das ist doch wirklich nicht nötig. Es ist kein Problem. Ich habe zwei ausgerenkte Finger, aber die Haut ist nicht aufgeschürft worden. Sehen Sie? Keine Schnittverletzungen, keine Stichwunden. Ich bin ja auf keinen Nagel getreten.«
»Ich bin gleich wieder da.«
Mir sank der Mut. In meinem geschwächten Zustand war ich gar nicht auf die Idee gekommen, zu lügen. Ich hätte ihr alles mögliche über meine medizinische Vorgeschichte erzählen können. Sie wäre nie dahintergekommen, und es war schließlich meine Sache. Wundstarrkrampf, mein Gott! Mir wurde alles zuviel. Ich habe eine Spritzenphobie, was bedeutet, daß ich manchmal schon beim Gedanken an einen Einstich in Ohnmacht falle und beim Anblick einer Spritze nervös werde. Ich bin schon umgefallen, wenn ein anderer eine Injektion bekam. Ich würde auch nie in ein Land reisen, das Schutzimpfungen verlangt. Wer will sich schon in einer Gegend aufhalten, wo immer noch Pocken und Cholera unter der Bevölkerung grassieren?
Was ich auf der ganzen Welt am meisten hasse, sind diese obszönen Nachrichtensendungen, in denen man urplötzlich heulende Kinder auf den Bildschirm geliefert bekommt, denen Injektionsnadeln in ihre süßen, rundlichen Ärmchen gestochen werden. Ihre betrogenen Mienen sind Grund genug, daß einem schlecht wird. Ich spürte, wie meine Handflächen feucht wurden. Obwohl ich lag, fürchtete ich, bewußtlos zu werden.
Im Handumdrehen kam sie zurück und brachte die Sie-wissen-schon-was wie einen Snack auf einem kleinen Plastiktablett mit. Um wenigstens noch ein bißchen Kontrolle über mein Schicksal auszuüben, überredete ich sie, mich in den Po zu piken und nicht in den Oberarm, obwohl es ein Kunststück war, einhändig die Jeans herunterzuziehen.
»Ich mag es auch nicht«, gestand sie. »Spritzen jagen mir eine Heidenangst ein. Und jetzt zur Sache.«
Stoisch ertrug ich das Unbehagen, das im Grunde gar nicht so schlimm war, wie ich es in Erinnerung hatte. Vielleicht wurde ich doch noch reif und erwachsen.
»Mist.«
»Tut mir leid. Ich weiß, daß es brennt.«
»Das ist es gar nicht. Mir ist nur gerade etwas eingefallen: Meine letzte Tetanusimpfung war vor drei Jahren. Ich hatte eine Kugel im Arm, und sie haben mir gleich eine Spritze verpaßt.«
»Tja, was soll’s«, sagte sie. Sie schob die Spritze in ein Gerät mit der Aufschrift »scharfe Gegenstände« und trennte ordentlich die Nadel ab, als würde ich sie ihr stibitzen und mich zum Spaß noch sechsmal damit stechen. Stets im Dienst, ergriff ich die Gelegenheit und fragte sie nach den Newquists, während wir auf den Arzt warteten. »Ich habe gehört, Rafer und Tom waren gut befreundet«, sagte ich zum Einstieg.
»Das stimmt.«
»Haben Sie viel zu viert unternommen?« Die Antwort ließ auf sich
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