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Kopfloser Sommer - Roman

Kopfloser Sommer - Roman

Titel: Kopfloser Sommer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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ist spät. Tatsächlich dämmert es beinahe schon.
    Als ich gehen will, bemerkt Vater etwas im Garten. Er zeigt darauf, und jetzt sehen wir es auch. Die Büsche haben eine geradezu gefährliche Schlagseite ‒ als wollten sie umsinken, es sieht wirklich seltsam aus.
    Vater geht auf die Terrasse, wir folgen ihm vorsichtig. Er geht weiter, hinunter auf den Rasen und ruft uns. Mutter läuft zu ihm, Jacob nimmt meine Hand, wir laufen ihr nach. Die Rasenfläche hat sich abgesenkt, als hätte ein riesiger Maulwurf unter der Erde gewühlt. Unter uns muss etwas eingestürzt sein. Dort wo der Brunnen sein müsste, zieht sich ein regelrechter Riss durch das Erdreich, was zum Teufel geht hier vor? Hat es doch ein Erdbeben gegeben? Ich erinnere daran, dass ich ein merkwürdiges Geräusch gehört habe, als ich vorhin im Garten spazieren gegangen bin. Ich habe Angst bekommen, bin gelaufen und gestolpert und war ganz dreckig, als ich zurückkam. Ich muss das Geräusch des Einsturzes gehört haben. Wie ist so etwas möglich? Wir wundern uns. Ich tue so, als würde ich es auch nicht verstehen.
    »Wo ist denn der Brunnen?«, fragt Mutter. »Hier stand doch ein Brunnen?«
    Jacob umklammert meine Hand und zieht, er will zurück ins Haus. Ich flüstere ihm zu, dass er keine Angst zu haben braucht, er kann ganz beruhigt sein.
    »Worüber redet ihr?«, erkundigt sich Vater.
    »Er hat nur geträumt«, erwidere ich. »Wie gewöhnlich etwas Unheimliches.«
    Nur ein paar Backsteine liegen noch herum, mehr ist vondem Brunnen nicht übrig. Vater findet eine tote Ratte, die er am Schwanz hochhebt und in die Büsche wirft. Er schaut sich ein bisschen um und achtet sehr darauf, wohin er tritt. An der Stelle, an der das alte Haus stand, ist die Bodenabsenkung am größten. Bisher konnte man das alte Mauerwerk sehen, jetzt ist nichts mehr zu erkennen. Hier könnte ein Keller eingestürzt sein?, überlegt Vater, ich zucke die Achseln. Den hätte man ausgraben müssen, meint er, das ist doch Pfusch.
    Mutter geht zu der alten Weide, die auch ein wenig schief steht. Die Wurzeln liegen frei, sie findet eine Öffnung im Boden. Mutter kniet nieder und schaut hinein. Von hier kam am ersten Abend das Weinen. Neben dem Baum ist ein Hohlraum, möglicherweise sogar ein Keller. Ich fasse sie am Arm und ziehe sie zurück; vielleicht ist es gefährlich, sage ich. Sie könnte in das Loch fallen und sich die Beine brechen, die Erde könnte sie verschlingen.
    Wir treten einen Schritt zurück. Mutter ist ungehalten, denn es wird viel Arbeit sein, bis alles wieder ordentlich aussieht. Der Boden muss ausgeglichen und planiert werden.
    »Ob man den alten Keller ausgraben muss?«, überlegt sie. Jacob drückt meine Hand, dass es schmerzt.
    Vater hält es nicht für notwendig. Allerdings braucht man dazu auch einen Gartentraktor. Und so etwas ist nicht umsonst. Für den Fall, dass Frau Larsen das nicht übernehmen will, verspricht er Hilfe. Jetzt war der Garten gerade so schön ‒ all die Arbeit, die Anders hineingesteckt hat, soll nicht vergeblich gewesen sein.
    »Hat Anders etwa dort unten gehaust?«, wendet sich Mutter an mich. »Hatte er hier ein heimliches Versteck, im Keller unter dem alten Haus?«
    Ich zucke die Achseln, tue, als wisse ich von nichts. Doch Mutter glaubt, bestimmte Zusammenhänge zu begreifen.
    »Jetzt verstehe ich besser, wie er die kalten Nächte überstehen konnte. Wo ist er eigentlich?«
    »Vater hat ihn doch in die Stadt gefahren«, sage ich.
    Mutter nickt und hängt ihren Gedanken nach, Vater ebenfalls. Ich schaudere, denn sie kommen der Wahrheit gefährlich nahe. Bestimmt spürt Jacob, dass auch ich Angst habe und gern wieder im Haus wäre.
    Wir gehen zurück. Es wird allmählich hell, die Vögel singen. Eigentlich ist es schön, aber keiner kann es genießen. Merkwürdig, dass etwas so Friedliches so furchteinflößend sein kann. Ich hoffe nur, dass derjenige, der mit einem Gartentraktor die Erde planiert, nichts Verdächtiges findet. Zum Beispiel einen abgesägten Kopf.
    Mutter und Vater flüstern miteinander, ich denke, es geht um Anders und sein Versteck. Und ob es vernünftig ist, da drin herumzugraben. Wozu, höre ich Vater fragen. Er weist außerdem darauf hin, dass die Gartenarbeiten dadurch noch teurer würden.
    Ich bringe Jacob ins Bett. Er versteht noch immer nicht, dass alles das, was geschehen ist, nur ein Traum gewesen sein soll. Ich schwöre, dass es so ist. Er ist vor dem Fernseher eingeschlafen, als Mutter im Wellnesscenter

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