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Kopfloser Sommer - Roman

Kopfloser Sommer - Roman

Titel: Kopfloser Sommer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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war. Wir haben uns eine Sendung über Kletterbären angesehen, nur er und ich. Ohne Anders. Ich habe ihn ins Bett getragen. Und am nächsten Tag hat er lang geschlafen und ist erst im Laufe des Vormittags aufgewacht, kurz bevor Vater kam, um uns abzuholen.
    »Aber wieso haben wir Erde in den Brunnen geschaufelt?«
    »Das haben wir nicht getan, wovon redest du?«
    »Da lag eine Schaufel im Gras, die habe ich eben wieder gesehen.«
    »Die muss die ganze Zeit dort gelegen haben, Anders hatsie benutzt. Aber er musste ja so schnell fort, dass er sie nicht mehr an ihren Platz stellen konnte.«
    Trotzdem findet Jacob es eigenartig, und ich hoffe nur, dass er Mutter nichts erzählt. Da er nicht aufhört, mir diese Art von Fragen zu stellen, muss ich schließlich ein Machtwort sprechen. »Schluss damit!«, sage ich, »jetzt wird geschlafen.«
    Er traut sich nicht, weitere Fragen zu stellen. Ich lege mich neben ihn und schaue an die Decke. Zumindest das kann ich für ihn tun, bei ihm bleiben. Wer weiß, ob es mir je gelingen wird, ihn von der Traumversion zu überzeugen. Aber vielleicht reicht es ja auch, wenn er versteht, dass wir es einen Traum nennen. Und dass es nicht notwendig ist, anderen davon zu erzählen.
    Ich denke an das, was ich vom Wohnzimmerfenster aus gesehen habe. Es muss eine Art Erscheinung gewesen sein. Anders’ Eltern gehen mir wirklich auf die Nerven. Und dann diese Geschichte mit den vertauschten Köpfen bei Mutter und Vater ‒ was zum Teufel passiert mit mir? Ich schließe die Augen und spüre, wie müde ich bin. Es ist einfach zu viel passiert, außerdem bin ich den Alkohol nicht gewohnt. Von jetzt an muss ich mich zusammennehmen. Ich weiß, was geschehen ist und was nicht; es fehlte noch, dass ich den Überblick verliere. Ich muss versuchen, realistisch zu bleiben. Anders’ Eltern sind nicht aus Papier, sondern aus Fleisch und Blut, und höchstwahrscheinlich sind sie tot. Sie konnten sich von den Ketten befreien und sind durch die Gänge gelaufen, um einen Ausgang zu finden, dann sind sie bei dem Einsturz gestorben und liegen jetzt irgendwo unter der Erde begraben.
    Aber der Keller unter dem Wohnzimmer unseres Hauses ist nicht eingestürzt. Er ist aus Zement und hat eine sichere Decke. Dort habe ich sie zuletzt gesehen. Sie waren angekettet, und wenn sie das Schloss nicht aufbekommen haben, sitzensie vermutlich noch immer dort. Ich müsste hinuntergehen und nachsehen.
    Als es im Haus ganz still ist, stehe ich auf und gehe in die Küche. Sollten mich meine Eltern überraschen, kann ich immer noch sagen, ich wollte mir ein Glas Milch holen.
    Vorsichtig öffne ich die Luke im Boden, so lautlos wie möglich. Ich steige die schmale Treppe hinunter in den Vorratskeller. Hier halte ich inne, ich muss die Konsequenzen durchdenken. Sollten sie noch immer am Leben sein, muss ich ihnen ans Tageslicht helfen. Sie müssen ins Krankenhaus, wo man sich über ihre durch Schläge und Peitschenhiebe verursachten Wunden wundern wird. Den offiziellen Unterlagen nach müssten sie tot sein. Es wird eine Lawine auslösen. Die Polizei wird eingeschaltet, sie werden kommen und das Haus durchsuchen. Sie werden den Keller finden und natürlich fragen, wo der Sohn geblieben ist. Er ist der Polizei ja bereits bekannt, denn auch die früheren Mieter haben sich über ihn beschwert. Es wird lediglich eine Frage der Zeit sein, bis sie anfangen, im Garten zu graben und die Leiche finden. Was passiert dann mit Jacob? Und damit bin ich wieder an dem Punkt, den ich nicht ertrage. Jacob wird als Mörder identifiziert und in ein ›Heim‹ gesperrt, in dem wir ihn nur an den Wochenenden besuchen dürfen.
    Selbstverständlich tun mir Anders’ Eltern leid. Irgendwie ist es aber auch ihre Schuld, dass Anders so geworden ist. Wie kann man ein Mädchen bezahlen, damit es mit ihm spielt, ja, sogar seine Freundin wird, nur um sie hinterher auszufragen und ein Buch darüber zu schreiben? Das verlorene Paradies, um Himmelswillen. Das ist pervers. Meine eigene Familie ist nicht perfekt, aber verglichen mit dem, was sich unter unserem Wohnzimmerfußboden abgespielt hat, ist unser Leben doch geradezu normal.
    Soll ich Anders’ Eltern sich selbst überlassen? Ich bringe es nicht fertig. Ich muss ihnen zumindest zu essen und zu trinken bringen, so wie Anders es getan hat. Wenn ich ihr neuer Wächter werden sollte, werde ich die Umstände ein wenig verbessern. Mir würde es beispielsweise nie einfallen, sie auszupeitschen. Wenn ich allein zu Hause

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