KOR (German Edition)
Bremen. Ich kann durchaus behaupten, dass wir hier am Pol der Unzulänglichkeit auf einen einzigartigen Fund gestoßen sind, der unser historisches Weltbild erheblich erweitern wird. Ich halte mich zurzeit auf der von Allan Whitehead geleiteten Polarstation KOR auf. Es gibt seit Jahrzehnten, wenn nicht sogar seit Jahrhunderten Th e orien, die behaupten, dass die Antarktis in früheren Zeiten ein besiedelter Kontinent gewesen sei. Ich persönlich gehöre nicht zu den Bezweiflern dieser Theorien, stehe ihnen aber auch nicht unbedingt aufgeschlossen gegenüber, da in dieser Hinsicht viel dummes Zeug publiziert wird. Wie dem auch sei, der Fund ist erstaunlich. Es handelt sich, meiner Meinung nach, um eine Kultstätte. Diese besteht aus einem etwa acht Meter hohen Objekt, das u m ringt ist von einem Steinkreis. Die einzelnen Steine zählen zu den kleineren Megalithen. Ihre Höhe übersteigt nicht das Maß von einem halben Meter. Sie sind kegelförmig und auf ihrer dem Objekt abgewandten Seite mit Runen verziert. Soweit ich das bisher beurteilen kann , ähneln die Runen den Schrif t zeichen auf skandinavischen Steinen aus dem zweiten Jahrhundert nach Christus. Die meisten Steinkreise in Schweden gelten als sogenannte Thingstätten. Es gibt auch andere, deren Funktion bisher nicht ganz geklärt werden konnte. Auf jeden Fall besitzen Steinkreise einen rituellen und damit religiösen Charakter. Manche erfüllten astronomische Zwecke. Der Sinn di e ses Kreises ist nicht eindeutig. Es handelt sich nicht um eine Thingstätte. D a gegen sprechen die Runen bzw. die Bedeutung der Runen. Ich stehe mit meinen Kollegen hier auf KOR deswegen in einem wissenschaftlichen Di s put. Ich kann nicht glauben, was wir da entdeckt haben. Es handelt sich um sieben Steine und damit um sieben Runen. Die Art und Beschaffe n heit der Schriftzeichen weist daraufhin, dass sich die Runen leicht von denen aus Nordeuropa unterscheiden. Dies könnte daran liegen, dass wir hier möglic h erweise die Reste einer Kolonie entdeckt haben, die sich im Laufe ihrer En t wicklung von ihrer Ursprungskultur löste. Wir werden das wahrscheinlich nie herausbekommen, es sei denn, Experten finden in Europa Quellen, die auf eine solche Kolonie hinweisen. Eine andere Möglichkeit bestünde in Gr a bungen hier an diesem Ort. Es scheint mir, und Messungen mit dem Geo f on scheinen das zu bestätigen, dass die Felsplatte, auf der sich der Fund befindet, weit größer ist als dieser vom Container eingeschlossene Ort. Es könnte sich um das Hochplateau eines Gebirges handeln. Doch ich schweife ab. Ich möchte meine Übersetzungen der Runen vortragen. Bei meiner Rückkehr nach Deutschland werde ich einen der Steine als Beweis vorlegen. Wie gesagt handelt es sich um sieben Runen. Ihre Bedeutungen lauten: Angst, Hass, Tod, Schrecken, Tier, Krankheit, Bosheit. Ein Zusa m menhang mit dem Objekt erschließt sich mir nicht. Die Form erinnert entfernt an einen Baum. Vie l leicht sollte der Kreis zusammen mit dem Objekt den Ort vo n bösen Gei s tern freihalten. Weitere Untersuchungen sind vonnöten.“
Das Bild erlosch.
Simon beugte sich vor. „Wenn jetzt sogar Archäologen an solch bizarre Möglichkeiten glauben, können Sie Ihren Job als Grenzwissenschaftler an den Nagel hängen, Mr. Kruger.“
„Manche Forscher sind einigermaßen aufgeschlossen. Doch bei W eitem nicht alle.“
„Und das ärgert Sie natürlich, Kruger“, gab Julia ihren Senf dazu. „Miss Hodge, die nächste Datei.“
Simon grinste. „Was erwartet uns jetzt? Eingefrorene Mammuts? Höhle n menschen? Ein gestrandetes UFO?“
Maggie öffnete die zweite Videobotschaft. „Warten Sie’s ab.“
Der Mann, den sie nun sahen, war Chad Kruger keineswegs unbekannt. Allan Whitehead schaute selbstbewusst in die Kamera. Er trug einen dunke l blauen Anorak und eine dicke Wollmütze. „KOR ist eine Forschungsstation, deren Zweck es ist, die Geogra f ie, das Klima und das Eis am Pol der Unz u länglichkeit zu untersuchen.“ Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: „Das ist die eine Seite. Die andere Seite hat ihre Ursache in einer russischen Exp e dition, die anlässlich des geophysikalischen Jahres 1957 durchgeführt wurde. Die Expedition wurde von Yevgeny Tolstikov geleitet, einem erfahrenen Polarforscher. Ziel war der Pol der Unzulänglichkeit. Es sollten Messungen und klimatische Beobachtungen durchgeführt werden. So lautete der offizielle Teil. Bis heute ist auch nur der offizielle Bericht Tolstikovs
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