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Kornmond und Dattelwein

Titel: Kornmond und Dattelwein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Mackey
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den Thron getrieben wurde. Vielleicht war sie ja auch gar nicht die prophezeite Kriegskönigin. Aber nur sie konnte es sein! Sie war aus dem Osten gekommen und verfügte über besondere Fähigkeiten: Die Pflanzen offenbarten i ihre Geheimnisse; Wilde fuhren vor ihrer Berührung zurück; s. gar Rheti erschrak vor dem Licht, das ihrer Handfläche en strömte.
    Inanna stellte sich vor, von der Statue der ersten Mutter ausgelacht zu werden. Vielleicht entstammte alles um sie herum ihrer Vorstellung. Der Himmel über dem Garten nahm eine dunkelrote Färbung an, und die Tauben steckten ihre Köpfe unter d Flügel. Unten machte sich die ganze Stadt zur Nacht bereit.
     
    Leere. Eine graue Wolke. Lange Zeit. Stille.
    Dies muß ein Traum sein, denn nichts weist die richtige Farbe auf. Der Himmel breitet sich wie ein Laken aus Gold über einer perlweißen Stadt aus. Blumen erblühen obsidianschwarz und knochenweiß. Auf kupfernen Bäumen blitzen fremdartige Vögel wie Edelsteine. Inanna sitzt und wartet. Der Traum ist noch nicht zu Ende, und in ihm träumt sie, daß sie schläft.
    Sie erwacht von etwas, das unter ihrem Nabel brennt. Es überkommt sie rasch und durchströmt sie, bevor sie es aufhalten kann. Eine Flüssigkeit wie geschmolzenes Gold, ein Strom von Feuer. Und welche Erlösung, welche Erregung, welche Lust es bringt. Nabel zum Herz, zum Hals, zum Gesicht. Durch Rückgrat, Arme und Finger. Das Feuer macht sie blind. Sie wirbelt in Dunkelheit um sich selbst, und ihr Leib läßt sich nicht mehr kontrollieren. Sie ist gefangen wie in einem Sack.
    Mit einem mal tut sich die Öffnung des Sacks auf, und Inanna springt mit einem großen Satz hinaus. Lange Haare wachsen auf ihrem Gesicht und auf ihrer Brust. Sie spürt die Wölbungen ihrer Fußsohlen auf dem Stein, die Biegung ihres langen Schwanzes, die Schärfe ihrer Zähne, die Muskeln, die unter ihrer Haut angespannt sind wie Bogensehnen, und den Mut in ihrem Herzen. Grüne Augen, Wolfsfrau. Sie springt auf die Mauerkrone. Bei einem Blick zurück entdeckt sie ihren alten Körper, der noch immer auf der Bank im Garten sitzt.
    Ich bin eine Wölfin,
denkt sie.
Dies ist der wahre Körper, den ich von meiner Wolfsmutter erhalten habe, der Körper, den Pulal und die anderen mir nehmen wollten. Aber ich habe ihn zurückgewonnen.
Einen Augenblick lang verliert sie sich in der Vorstellung ihrer eigenen Kraft. Dann spürt sie die Anwesenheit des Anderen. Der Andere ist kalt und teuflisch; und böse darüber, daß sie es entdeckt hat. Der Andere spürt, wie stark sie ist, und Inanna spürt, daß der Andere davor Angst hat.
    Grüne Augen. Ihre Klauen auf der Mauer. Sie wirft den Kopf zurück und stößt den Angriffsruf aus. Um sie herum zerfällt der Himmel wie bei einem Korb voller Fliesen, der über einem Balkon ausgekippt wird.
    Nichts. Leere. Eine graue Wolke.
    Viel später – es scheint, als sei eine Ewigkeit vergangen – öffnet sie die Augen und findet sich mitten im Garten wieder. Es ist Nacht geworden, und die Sterne funkeln am Himmel. Hat sie alles nur geträumt? Sie sieht auf den Wandelstein, der dunkel und schwer in ihrer Hand liegt, und wieder kommt sie sich töricht vor. Ganz sicher war es ein Traum. Aber auf der anderen Seite ... Sie hat das Gefühl, eine Schlacht gewonnen zu haben, aber eine weitere, viel größere steht ihr noch bevor.
    Tief in ihrem Innern glaubt sie, immer noch das Wolfsherz schlagen zu hören.
     

II
    »Joyta,
der Königin geht es wieder besser.« Die Dienerin kämmte Inannas Haar aus, rieb etwas Duftöl hinein und machte sich dann rasch daran, ihr Zöpfe zu flechten. Und dabei plapperte sie unaufhörlich. Es war der erste Tag des Trockenflußmondes. Draußen war die Sonne bereits dick und rund wie ein goldener Ball über die Gipfel der Berge im Osten gerollt. »Man erzählt sich, die Königin habe die Kohlenfeuer in ihren Gemächern gelöscht und befohlen, die schweren Vorhänge von den Fenstern zu nehmen. Und es heißt, sie wolle bald hinunter in kühlere Zimmer kommen. Ich habe sogar gehört, daß die Königin die Große Halle wieder betreten will, und meiner Meinung nach wäre das ein großer Segen für die Stadt ...« Abrupt setzte ihre Stimme aus, und ihre Finger verhedderten sich in Inannas Haar. »Nicht daß ich damit sagen wollte, Ihr wäret nicht auch ein Segen für die Stadt gewesen, Joyta, ich meinte nur ... «
    Inanna lächelte sie an. »Für mich kann die Königin gar nicht früh genug zurückkehren.«
    »O ja,
Joyta.
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