Kornmond und Dattelwein
schien für die Ruhepause dankbar zu sein. »Ich will dort drüben, wo der Boden fest ist, eine Hütte für uns bauen«, erklärte Inanna ihm. Sie führte dem Kranken vor, wie sie die Rohre mit Lehm und Schlamm bedecken wollte, und der Mann nickte, so als habe er verstanden. »Natürlich ist das nicht so gut wie ein richtiges Zelt, aber zumindest sind wir dort vor Regen geschützt. Mein Volk baut hin und wieder solche Hütten, wenn wir an einem Ort überwintern wollen.« Sie sah die Verwirrung in seinem Gesicht und lachte. »Ich weiß auch nicht, warum ich dir das alles erzähle, wo du doch kein einziges Wort davon verstehen kannst.« Er lächelte und ahmte ihre Rupfbewegungen nach. »Ja«, lächelte Inanna, »ich will noch mehr Rohre pflücken.«
Das Wasser an ihren Füßen war angenehm warm. Winzige silbrige Fische schossen kreuz und quer durch die Wasserlilien. Bücken und rupfen, zusammenstecken und verputzen. Schlamm bedeckte ihre Hände, trocknete dick auf ihren Armen und verklebte ihre Haare. Gegen Mittag hatte sie den Grundriß der Hütte errichtet und machte sich nun daran, die Lücken auszufüllen. Zusammenstecken und verputzen. Zurück ins Wasser und neue Schilfrohre pflücken, neuen Schlamm zu holen. Der Arbeitsrhythmus nahm sie ganz gefangen, und ihr Körper richtete sich ganz darauf ein. Sie hatte den Fremden schon vergessen, als er plötzlich an ihrem Ärmel zupfte. »Was möchtest du?« Sie erkannte, daß er etwas sagen wollte.
»Enkimdu«, stieß er immer wieder hervor und zeigte dabei auf sein Gesicht. »Enkimdu.«
»Aha, du hast also Durst.« Inanna wusch sich die Hände, löste den Wassersack von ihrem Gürtel und füllte ihn im See auf. »Hier, nimm einen Schluck.«
Aber der Fremde schüttelte den Kopf und schob ihre Hand beiseite. »Enkimdu«, sagte er wieder, diesmal jedoch bestimmter. Nach einer Weile wurde ihr klar, daß er versuchte, ihr seinen Namen zu sagen. »Enkimdu?« sprach sie dann und zeigte auf ihn. Der Mann nickte und lächelte froh, weil sie ihn verstanden hatte. Inanna schob sich die Haarsträhnen aus dem Gesicht und zeigte auf sich.
»Inanna«, erklärte sie. Das Lächeln des Mannes wurde breiter, und er sprach eine lange Kette von Wörtern, die mit ihrem Namen endete. Dann bückte er sich, pflückte eine Lilie und reichte sie dem Mädchen in einer Mischung aus Schüchternheit und Höflichkeit, wobei er auf die Hütte deutete.
»Otla«,
sagte er.
»Heißt das soviel wie
danke?
Willst du mir für den Bau der Hütte danken?«
Der Fremde grinste über das ganze Gesicht und freute sich wie ein kleines Kind.
»Otla«,
sagte er wieder.
»Dann auch dir
otla,
Enkimdu, für die Blume.« Sie nahm eine Ladung Schlamm auf und lief damit zur Hütte.
»Otla,
Enkimdu.«
»In der Sprache meines Volkes heißt diese gelbe Blume
dock.
Wie nennt man sie in deiner Sprache, Inanna?«
»Ist das ein
Grabstock,
Inanna? Ist das
Feuerstein?
Und das
Schildkrötenfleisch?
Enkimdu schmeckt Schildkröte schlecht wie Tier, das durch Gras schleicht. Wie heißt es noch,
Schlange,
nicht wahr? Tier, das durch Gras schleicht, heißt
Schlange,
nicht wahr, Inanna?«
»Ja«, antwortete sie, »dieses Tier nennen wir
Schlange.«
»Enkimdu schmeckt Schildkrötenfleisch schlecht wie Schlange. Aber gut schmeckt Schildkrötenfleisch dies hier. Inanna Schildkrötenfleisch ist gute Köchin.« Er redete nun ohne Unterbrechung, zeigte auf alles, das sie zum Kochen verwendete, folgte ihr hinaus, um die Namen der Blumen und Tiere zu lernen, und bestand darauf, daß sie auch seine Sprache lernen sollte. Selbst als sich seine Beinwunde erneut infizierte und er kaum mehr unternehmen konnte, als sich in die Sonne zu legen und die ganze Zeit über dort zu zittern, hörte er nicht mit seiner endlosen Fragerei auf. »Wie nennt man Hügel hoch statt Hügel klein?«
»Die nennen wir
Berge«,
erklärte sie ihm. Sie fragte sich in Gedanken, ob ihr diese vielen Fragen auf die Nerven gingen, und kam zu dem Schluß, daß sie ihr nichts ausmachten. Im Gegenteil, sie gaben ihr ein Gefühl der Wichtigkeit, der Bedeutung. Und genauso war es wohl auch: Er behandelte sie so, als sei sie eine Persönlichkeit. Inanna hielt den Fisch hoch, den sie gerade geschuppt hatte, und die Haut des Tiers funkelte ihr zu. »Ich bin Inanna, die Hüterin der Namen«, erklärte sie dem unschuldigen Fisch. Dann lachte sie und warf ihn auf den Stein. Und Enkimdu fiel in ihr Lachen ein.
Die Tage wurden wieder kürzer, und der See trocknete auf die
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