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Kornmond und Dattelwein

Titel: Kornmond und Dattelwein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Mackey
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mit einem Fuß auf.
    Enkimdu hob abwehrend die Hände. »Ich bitte vielmals um Entschuldigung,
muna.
Dann will ich anders fragen: Liebst du deinen guten, reichen und über die Maßen gutaussehenden Gemahl?« »Jawohl«, gab sie barsch zurück. »Das tue ich.«
    »Fein.« Enkimdu bot ihr etwas von der Eichelmasse an. »Dann bist
    du ja eine glückliche Frau zu nennen.« Inanna drehte sich um und marschierte wütend auf den Ausgang zu. Verflucht sei der Schnee! Verflucht seien die Bergpässe! Sie hätte dennoch in der letzten Nacht aufbrechen sollen. Er verstand gar nichts, dieser dahergelaufene Fremde. Er war ein Idiot, ein Trottel und ein Einfaltspinsel. Sie hörte, wie er hinter ihr kicherte.
    »Willst du etwa wieder nach den Schlingen sehen?«
     
    Lilith lief den Hügel hinunter auf sie zu und trug einen Krug Milch auf dem Kopf. Etwas Eigentümliches war an ihrem Gewand, vor allem an der Art, wie es über ihren Brüsten saß, so als wäre es statt aus Wolle aus Nebel gemacht. Die goldene Taube glänzte an ihrem Hals. Lilith lächelte. »Inanna« rief sie, »komm und hilf mir mit der Milch.« Inanna rannte den Hügel hinauf, stolperte über Steine und dachte, daß es fürs Melken schon reichlich spät am Tag war. Einmal sah sie hoch und entdeckte, daß Lilith schwankte. Die Schwester drehte sich wie eine Tänzerin auf dem Pfad. Sie drehte sich und drehte sich und hielt dabei verzweifelt den Krug. Ihr Gesicht war weiß vor Angst, und ihre Finger wirkten wie Vogelklauen. Der Krug wackelte bedenklich, und etwas von der warmen Milch floß über den Rand.
    »Lilith, sei vorsichtig!« schrie Inanna. Im selben Moment war ihr klar, daß etwas Furchtbares geschehen würde, wenn Lilith die Milch verschütten sollte.
    »Inanna, hilf mir!« rief Lilith. Aber da fiel der Krug, und mit ihm fiel Liliths Kopf, überall war Blut, das sich mit der Milch vermischte.
     
    Inanna erwachte schreiend. Der Geruch von Blut war immer noch in ihrer Nase. In der kurzen Frist bis zum vollständigen Erwachen hatte sie das Gefühl, in ihrem eigenen Zorn zu ertrinken und daß der Kummer ihr Herz zum Bersten gebracht hatte. Aber da lag schon ein Arm um ihre Schultern und zog sie aus dem Sumpf der Schrecken hinaus. Enkimdu. Er drückte sie sanft an seine Brust und strich ihr über das Haar. Über seine Schulter starrte sie wie blind auf die vertraute Hüttenwand und auf die Flammen in der Feuerstelle.
    »Du hast einen schlechten Traum gehabt.« Seine Stimme klang ruhig und sachlich. Er hob sie hoch, bis seine Augen in ihr Gesicht sahen und fragte dann ernst an: »Ist alles mit dir in Ordnung?« »Ja, sagte Inanna. »Ich habe von meiner Schwester geträumt, von Lilith, die ...« Beim Klang von Liliths Namen begann sie, heftig zu schluchzen. Wie häßlich diese Erinnerung war! Warum mußte sie sie immer wieder behelligen? Die Erinnerung kam, wenn Inanna am wenigsten damit rechnete, machte sich am liebsten in ihr breit, wenn sie schlief.
    »Ruhig«, sagte Enkimdu. Er zog ihr Gesicht noch näher heran und küßte sie auf die Lippen. Dann nahm er sie in die Arme und küßte sie wieder, und seine Finger wanderten über ihre nackten Schultern. Ihr Körper bewegte sich unter seinen Berührungen wie von selbst, war wie Gras im Wind. Sie war wie benommen. Wie schön das war, was für eine dunkle und angenehme, eine fremdartige Schönheit, von der sie nie geahnt hätte, daß sie irgendwo existierte. Dann fiel ihr Hursag ein.
    »Was ist denn los?« wollte Enkimdu wissen. Er ließ sie los, und sie rutschte ans andere Ende des Schlaflagers.
    Die Wörter wollten ihr nicht aus der Kehle kommen. Enkimdu reichte ihr eine Kürbisflasche mit kaltem Tee und wartete geduldig, bis sie ausgetrunken hatte. Draußen schrie eine Eule, und der Wind ratterte an den Schilfrohren. Wie spät mochte es sein? Inanna wollte sich hinlegen, die Augen schließen und nie wieder aufstehen.
    »Jetzt erzähl mir alles«, sagte Enkimdu.
    Inanna schüttelte den Kopf. Sie konnte es nicht, war zu müde, um vor ihrem geistigen Auge noch einmal alles durchzumachen. »Bitte.« Echte und ehrliche Besorgnis stand auf seinem Gesicht. Also gut, ein bißchen konnte sie ihm ja erzählen. Inanna lehnte sich an die Dachstange und atmete tief durch. »Ich habe meine Schwester mehr als jeden anderen Menschen geliebt«, begann sie. Die Worte purzelten ihr über die Lippen, als sie von ihrem Traum erzählte, von Liliths Hinrichtung und von Pulal und seiner Axt. Und schließlich erzählte sie ihm auch noch

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