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Kornmond und Dattelwein

Titel: Kornmond und Dattelwein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Mackey
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die Erde, nachdem Regen auf sie gefallen ist«, sagte er. Inanna lächelte ihn an und berührte mit den Fingerspitzen sacht seine Lippen. Enkimdu küßte sie wieder. Dann drehte er sich um und fiel in einen tiefen Schlaf. Einige Minuten blieb sie schweigend neben ihm liegen und lauschte seinem Atem. Und wieder kamen ihr die Worte des alten Liebeslieds in den Sinn.
     
    Er hat mich geküßt und bei mir gelegen
    Wie ein Trunk von Honigwein.
     

V
    Er hatte sich immer gewünscht, ein Wunder möge geschehen, und nun war es geschehen. Als Junge hatte er nächtelang wach gelegen und Lanla angefleht, sie solle ihm zum Beweis ihrer Existenz ein Zeichen senden. Später hatte er mit seinen Vettern Witze über die Göttin gemacht. Ihre Statuen seien nichts anderes als Klumpen aus bemaltem Lehm. Sie und ihre Schwester seien nichts anderes als alte Kühe, die keine Milch mehr gaben. Und die Leute, die sie verehrten, mußten einfältige Narren sein. Wie gescheit, weise und groß dagegen doch er und seine Vettern waren! Und gleichzeitig wie unglücklich. Er begriff heute, wie allein sie damals gewesen waren, auch dann wenn sie zusammen gewesen waren. Die Feste, die Löwenjagden, die Liebesaffären und der Klatsch um die Palastintrigen waren nichts als hohle Zerstreuungen, waren ihre Abwehr gegen die Erkenntnis, daß es eigentlich nichts gab, was sich zu tun lohnte. Selbst seine ganz privaten Abenteuer – seine einsamen Streifzüge in die Wildnis, auf die er so stolz gewesen war und die er trotz aller Ermahnungen und Warnungen seiner Mutter immer wieder unternommen hatte – waren ohne wirklichen Wert gewesen.
    Wofür lebte man eigentlich, wenn man keine echte Partnerschaft mit anderen Menschen hatte? Solche Gedanken hätte er noch vor wenigen Monaten niemals zugegeben, bevor er die Stadt verlassen hatte und von den Wilden überfallen und von ihnen verschleppt worden war. Auch wenn er dabei fast das Leben verloren hätte, betrachtete er dieses Abenteuer nun als wirklichen Glücksfall, denn dadurch war er mit Inanna zusammengekommen.
    Vereinigung. Was bedeutete dieser Begriff überhaupt? Am Morgen, wenn er draußen vor der Hütte säße und auf den See hinaussah, würde er das Gefühl vollkommenen inneren Friedens verspüren. Er würde auf das Schilfrohr sehen und dabei spüren, daß er selbst auch schwankte. Er würde auf die Vögel am Himmel sehen und plötzlich wissen, wie es war zu fliegen. Es war ein leises, unmerkliches Hochgefühl, so unterschwellig, daß es augenblicklich verschwinden würde, wenn er nur einen Moment nicht daran dachte.
    Einmal in seiner Kindheit hatte er sich im Keller des Palastes verlaufen. Stundenlang war er an den großen Krügen mit Linsen und an Haufen von zerbrochenem Mobiliar vorbeigewandert. Er hatte geweint und war überzeugt gewesen, nie wieder hinauszufinden. Und dann war er um eine Ecke gebogen und hatte seine Mutter gesehen. Ihre Hände und Arme waren mit nassem Ton bedeckt gewesen. Mitten in einem alten Vorratsraum hatte sie eine Statue modelliert. »Ich habe auf dich gewartet«, hatte seine Mutter gesagt, obwohl sie damals doch gar nicht wissen konnte, daß er sich verlaufen hatte. Und wie hatte sie auf ihn warten können? Er war davon ausgegangen, daß sie es eben gewußt hatte, und war schweigend mit ihr zur Mahlzeit gegangen. Und genauso erging es ihm nun mit Inanna, dieses einfache und doch wunderbare Gefühl, daß er mit allem vereint und alles mit ihm vereint war.
    Schon allein ihren Namen auszusprechen, bereitete ihm ungeheures Vergnügen. In der Nacht strich er mit den Fingern so sacht über ihren Körper, daß sie nicht erwachte, berührte ihre kleinen, hochstehenden Brüste und die schlanken Kurven ihrer Hüften. Die Knochen an ihren Handgelenken waren so zart, und ihre Haut war so weich wie die farbigen Schals, die die Händler manchmal aus dem Osten mitbrachten. Doch andererseits besaß sie große Kraft. Etwas halb Ungezähmtes war an und in ihr, das seine Phantasie außerordentlich erregte. Sie unterschied sich sehr von den Frauen in seiner Stadt. Sie war gleichzeitig schön und wild, war vornehm und unverdorben. Ihr langes schwarzes Haar roch nach Moschus und rauchendem Holz. Und ihre grünen Augen waren die eines wilden Tiers. Er hatte schon vielen Frauen beigelegen, aber nie ein Erlebnis wie bei Inanna gehabt. Nie hatte er dabei gespürt, das Innerste eines anderen Menschen zu berühren. Und manchmal glaubte er, sie schon sein ganzes Leben lang zu kennen. Andere Male kam ihm

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