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Kornmond und Dattelwein

Titel: Kornmond und Dattelwein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Mackey
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kurze Strecke, die zwischen ihnen lag, streckte eine Hand aus und pitschte sie so heftig in den Oberarm, daß sie zusammenfuhr. »Ich sehe, du bist gut durch den Winter gekommen, kleine Schwester«, erklärte er mit süßlicher, halb höhnischer Stimme. »Dein Gemahl wird nicht gerade erfreut sein, wenn er erfährt, daß er umsonst eine weitere Braut gekauft hat.«
    Wo kam Pulal her? Wovon redete er? Wie hatte er sie gefunden? Pulal war dem Klippenrand so nahe, daß er die Hütte am See entdecken mußte, wenn er nur noch einen Schritt nach vorn machte. Er durfte gar nicht erst erfahren, daß Enkimdu ...daß sie .. . Die Gedanken in Inannas Kopf rasten. Sie erinnerte sich, wie Zu für nur eine Nacht mit Lilith mit einem Speer im Rücken gestorben war. Was würde erst mit Enkimdu geschehen, wenn die Männer ihres Volks erfuhren, daß er den ganzen Winter mit Inanna verbracht hatte? Pulal würde sie und ihn auf der Stelle umbringen, sobald er es entdeckt haben würde.
    »Der alte Hursag hat wieder geheiratet«, erklärte Pulal gerade. »Der alte Ziegenbock hat Tante Dug zum Weib genommen, damit er jemanden hat, der ihm das Zelt in Ordnung hält.«
    Inanna versuchte, sich zu beruhigen und ihrem Bruder zuzuhören. Sie maß seine Körperkraft ab. Ja, er war viel stärker als sie. Sie konnte nicht gewinnen, wenn sie ihm direkt gegenübertrat. Aber wenn Pulal unachtsam war, konnte sie ihn vielleicht überraschen. Die Stärke kehrte in sie zurück und füllte ihren ganzen Körper aus. Pulal redete immer noch und erzählte ihr, daß der Stamm den Winter nur ein paar Täler weiter auf einer Weide unterhalb der Frostgrenze verbracht hatte. »Viel Gras gab es dort für unsere Herden«, erklärte er und reckte die Brust vor. »Sie haben reichlich Junge bekommen.« Inanna bemühte sich um ein Lächeln, aber der Haß in ihr war zu stark.
    »Kur ist dir wohlgesonnen, Bruder.« Wenn er ihr nur die geringste Gelegenheit bot, würde sie ihn töten, noch bevor sie das Lager des Stammes erreicht hatten.
    Pulal bedachte sie mit einem kalten Blick. »Zumindest hast du ja gelernt, wie man als Weib zu reden hat.« Er packte sie fest am Arm und führte sie über den Pfad auf der anderen Seite des Passes. Einmal drehte Inanna den Kopf und sah, wie der große, kahle Fels hinter einem Höhenzug verschwand. Der zerklüftete Rand des Berges stieg auf und verbarg den Himmel und das Tal, die Hütte und den See. Enkimdu, mein Geliebter, mein Schatz, dachte sie, zumindest bist du in Sicherheit. Die Vorstellung, ihn verlassen zu müssen, bereitete ihr solchen Schmerz, daß sie beinahe aufgeschrien hätte. Sie wollte ihre Füße und Beine in den Fels vergraben, sich wie ein Baum verwurzeln, so daß nichts und niemand sie von der Stelle bewegen konnte, nicht einmal Pulal. Aber statt dessen marschierte sie weiter und setzte einen Fuß vor den anderen. Die gehorsame Frau, das gute Weib. Sieh nur, Pulal, sieh mich an und vergiß alles Mißtrauen.
    »Dein Gemahl wird sich freuen, dich wiederzusehen, auch wenn er eine andere zur Frau genommen hat. Tante Dug beschwert sich, daß seine Füße in der Nacht kalt wie Eis seien, und daß er für eine Frau zu nichts mehr nutze sei, wie ein Stein. Wie hübsch wird es für ihn sein, mit dir an seiner Seite wieder die einen oder anderen Säfte in sich sprudeln zu fühlen.«
    Inanna versuchte, sich loszureißen, aber Pulal war zu geschwind für sie. Er packte ihr ins Haar und riß ihr den Kopf zurück, so daß sie ihm direkt in die Augen sehen mußte. Schlange. Eidechse. Mit was für einem Alptraum mußte ihre Mutter Enshagag Beischlaf betrieben haben, um solch einem Sohn das Leben zu schenken? Pulal bemerkte den Abscheu in ihrem Gesicht, und sein Griff wurde fester.
    »Ich stelle mir nur ungern vor, was geschehen würde, wenn du dich weigern solltest, willig und froh zu deinem Gemahl zurückzukehren.« Seine Stimme klang durchdringend und bedrohlich. »Aber natürlich wirst du überglücklich sein, ihn wiederzusehen, nicht wahr, meine kleine Schwester?«
    Inanna dachte an Enkimdu. Wie sehr würde er sich sorgen, wenn sie bei Einbruch der Dunkelheit immer noch nicht zurückgekehrt war. Sie mußte auf eine bessere Möglichkeit zur Flucht warten. Sie drängte das Wolfsherz zurück und machte eine demütige Miene. »Ich werde überglücklich sein, meinen Gemahl wiederzusehen.«
    Pulal ließ ihr Haar los, und die Narbe auf seiner Wange leuchtete
    auf. »Gut«, sagte er fast schon freundlich. »Sehr gut.«
     
    Die Lagerhunde

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