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Kornmond und Dattelwein

Titel: Kornmond und Dattelwein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Mackey
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und sie in die Arme nehmen, aber er hatte Angst, das könnte sie wieder aufs neue bestürzen. »Ja«, antwortete er nur. Er erinnerte sich an die Male, wo er das Schlafzimmer seiner Mutter betreten und sie mit einem neuen Freund vorgefunden hatte. Jedesmal war sie Enkimdu so glücklich vorgekommen, wie sie da zwischen unzähligen Kissen lag, Gewürzwein trank und wie ein junges Mädchen lachte. Man konnte ihr Lachen noch in der Halle hören, und am Morgen danach fand Enkimdu sie am ehesten in ihrem Arbeitsraum vor. »Die Liebe bringt mich dazu, die Kunst klarer und deutlicher zu sehen«, hatte sie ihm einmal erklärt, als er gerade für sie den Ton gewässert hatte. Damals war er noch ein Knabe gewesen, zehn, vielleicht elf Jahre alt, und er hatte sie nicht verstanden. Und später, als er alt genug gewesen war, war es zu spät, sie zu fragen. Jetzt grübelte er darüber, wie nachgerade unmöglich es sein würde, Inanna beizubringen, daß die vielen Liebhaber der schönste und angenehmste Teil im Leben seiner Mutter war und nicht der schlimmste und lästigste, wie die Schwarzköpfige zu glauben schien.
    »Ich verstehe das nicht«, unterbrach ihn ihre Stimme und hallte in seinen Gedanken wider.
    Enkimdu sah, daß ihre Augen voller Tränen waren. Wie schlimm mußte es für sie sein, hier zu leben, so weit fort von ihrem Volk.
    Seine Stadt hingegen mußte ihr wie eine Legende vorkommen. Er dachte daran, wie sie ihn während seiner Krankheit gepflegt hatte, wie sie ihn gefüttert und gewärmt hatte. Wie konnte er da von ihr mehr verlangen? Warum sollte er darauf dringen, daß sie die Bräuche seiner Stadt verstand und akzeptierte?
    »Wenn der Frühling kommt«, sagte er und ergriff ihre Hand, »nehme ich dich mit in die Stadt, und dort kannst du dir alles selbst ansehen.« Sie setzte sich neben ihn, legte ihren Kopf an seine Brust und ließ sich von ihm das Haar streicheln. Es war so weich wie die Tuche, die die Händler aus dem fernen Osten mitbrachten. »Aber du wirst doch nicht mehr mit diesen
Lants
schlafen, nicht wahr?« beharrte sie und sah ihn ernst an.
    »Wenn es dir soviel bedeutet, dann wollen nur wir beide zusammen die Göttin ehren, auch wenn das in unseren Sitten so nicht vorgesehen ist.« Er spürte, wie sie sich an seiner Seite entspannte. Die Weichheit ihrer Brüste und der Duft ihrer Haut ließen ihm die Sinne schwinden. Lanla, o Lanla, wie wunderbar dein Geschenk ist. »Wir könnten gleich damit beginnen, die Göttin zu ehren«, flüsterte er ihr ins Ohr.
    Inanna drückte ihre Handflächen auf seine Wangen und küßte ihn flüchtig. »Ich fürchte, ich muß mich an sehr viel gewöhnen, wenn wir deine Stadt erreichen«, sagte sie leise.
    »Aber du hast eine rasche Auffassungsgabe.« Sie lachte darüber, und die Farbe kehrte in ihr Gesicht zurück. Enkimdu setzte seine Lippen auf ihren Nacken und küßte den ganzen Bogen vom Ohr bis zu den Schultern. Und er schmeckte das Salz auf ihrer Haut. Er wollte ihr plötzlich so vieles sagen, aber alles, was ihm einfiel, kam ihm furchtbar plump und unnötig vor. Er griff sich an den Hals, löste seine Kette und reichte sie ihr. »Hier, nimm sie, sie ist alles, was ich im Augenblick habe. Die Taube ist Lanla geweiht.« Er küßte sie und legte ihr die Kette in die Hand. »Vielleicht hilft dir das, dich an ihre Bräuche zu gewöhnen.«
    Inanna erbleichte von einem Moment auf den anderen, fuhr mit einem Schrei zurück und hätte die Kette fast fallen lassen.
    »Was stimmt denn nicht?«
    »Es wird zu einer furchtbaren Schlacht kommen!«
    »Was sagst du?«
    »Die Taube.« Sie starrte auf die Kette, als ginge eine tödliche Gefahr von ihr aus. »Als du sie mir in die Hand legtest, spürte ich, daß es zwischen mir und einem anderen zu einer großen Auseinandersetzung kommen wird . . . oder mit einem Ding, das kann ich noch schlecht auseinanderhalten. Ich spürte bei der Berührung, daß in der Stadt ein Feind auf mich wartet... eine Frau, weißhaarig und bösartig und kalt wie Eis. Sie ist blind, aber sie sieht alles. Ich konnte sie hier spüren.« Sie zeigte auf ihre Kehle. »Die Alte bemühte sich, mir den Hals zuzuschnüren, und ich bekam kaum noch Luft.«
    Eine Gänsehaut rann über Enkimdus Rücken, als er das hörte. Rheti war blind, und ihr Haar war schon, solange er zurückdenken konnte, weiß gewesen. Aber wie konnte Inanna von der Hohepriesterin wissen? Er spürte, daß sich etwas Unheilvolles anbahnte, daß etwas Böses auf sie beide zurauschte. Er zog Inanna

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