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Kornmond und Dattelwein

Titel: Kornmond und Dattelwein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Mackey
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gestorben?« Inanna hob ruckartig den Kopf und sah ihn verdutzt an. Konnte er denn Gedanken lesen? »Einmal ist eine Geliebte von mir am Flußfieber gestorben«, fuhr Talin traurig fort. »Und danach konnte ich Lanla fast ein Jahr lang nicht mehr huldigen. Jedesmal, wenn ich eine Frau berührte, ließ die Erinnerung an meine Geliebte mich genauso schluchzen wie dich.« Er legte ihr eine Hand auf die Schulter und klopfte sanft darauf, so als sei sie ein unglückliches Kind. »Du wirst schon drüber hinwegkommen.«
    »Ich komme nie darüber hinweg.« Sie schluchzte nicht mehr, als sie Ev und Talin kühl und distanziert ansah. »Niemals.« Den beiden Männern waren ihre Blicke unbehaglich.
    Ev verließ das Zimmer und kehrte kurz darauf mit einer kleinen Tasse heißen Tees zurück. Ein Kreis von roten Blumenblättern trieb am Rand entlang. »Trink das. Es ist eine Pflanzenmedizin gegen den Kummer.«
    »Es hilft dir zu vergessen«, versicherte Talin. Inanna berührte mit der Fingerspitze die feuchten roten Blütenblätter. Sie blieben wie Blut an ihrer Haut kleben. Sie mußte an Enkimdu denken, wie er zu Tode verwundet in ihren Armen gelegen hatte.
    »Ich will ihn aber nicht vergessen!« rief sie. »Niemals!« Sie goß den Tee in die Wanne und stellte die Tasse auf den Boden. Ev und Talin tauschten entsetzte Blicke aus.
    »Möchtest du nun dein Schlafgemach sehen,
Muna?«
fragte Ev schließlich mit vorsichtiger Höflichkeit.
     
    Das Essen an diesem Abend bestand aus gebratenem Wildbret, einer Schüssel mit gekochten Felderbsen und großen Broträdern, die in der Mitte des Tisches aufgestapelt waren. Leoparden tanzten an den Wänden. Ihre Augen waren mit glänzenden Fliesen eingelegt, die im Licht der Lampen funkelten. Inanna aß soviel, wie sie nur konnte, und nickte unentwegt, ganz gleich, was man ihr auch erzählte. Am anderen Ende des Tisches teilten sich Ev und Talin eine Schüssel. Lyra und Seb saßen ihr gegenüber, und um sie herum waren drei weitere Schwestern von Lyra, ein älterer Mann und etliche Kinder. Sellaki, die Hausmutter, saß wie eine Königin auf einem thronartigen Stuhl, aß erstaunliche Mengen und spülte diese mit gewaltigen Schlucken von Bier hinunter. Und währenddessen redete sie unaufhörlich über das Thema, das sie am meisten zu interessieren schien.
    »Ich habe schon von deinem Stamm gehört.« Sellaki wischte den Rand ihres Kelchs mit der Handfläche ab und nahm noch einen tiefen Zug. »Es gab eine Menge Ärger, mit deinen Leuten, ist wohl schon ein paar Jahre her. Sie kamen die Berge herunter und haben die Stadt angegriffen wie eine Horde von Wilden. Nicht daß ich damit sagen will, du wärst auch eine Wilde, nein, bewahre.« Inanna nickte höflich. »Ich war damals noch ein Mädchen«, fuhr Sellaki fort. »Höchstens zehn Sommer alt, eher weniger. Kurz vor der letzten großen Pest war das. Und daher sind auch nicht mehr viele übrig, die sich noch daran erinnern könnten. Wenn sich doch bloß mehr daran erinnern könnten, dann hätten wir auch längst diese verwünschten Wälle ausgebessert.«
    Sie muß meinen Stamm mit einem anderen verwechseln, dachte Inanna, sonst hätte sie doch bestimmt davon gehört, wie sich die Krieger von Kur damit nachts an den Feuern brüsteten.
    »Die Schwarzköpfigen«, sagte Sellaki gerade, »ein wilder und rauher Haufen, obwohl dein Stamm nichts anderes mitgebracht hat als Waffen aus Stein. ›Wenn diese Leute erst einmal wissen, wie man Waffen aus Kupfer macht‹, sagte meine Großmutter damals, ›kann nichts und niemand sie mehr aufhalten.‹ Meine Großmutter war eine gute Kämpferin. Sie konnte eine gefährliche Axt schwingen.« Sellaki schob einen Ärmel hoch und zeigte eine lange, rote Linie, die über ihren ganzen Arm lief. »Siehst du die Narbe hier? Einer von deinen Schwarzköpfigen hat sie mir verpaßt, als er über die innere Stadtmauer kletterte. Unser Haus war daran angebaut, und die Familie hatte mich auf dem Dach versteckt, weil sie mich dort für sicher hielt. Aber meine Großmutter hat den Burschen noch rechtzeitig erwischt.« Sie fuhr mit den Fingerspitzen rasch an ihrem Hals entlang und grinste. »Das werde ich mein Lebtag nicht vergessen.« Die Frau nahm sich noch ein ordentliches Stück Wildbret und tauchte ihr Brot in die Soße. »Wie man hört, soll uns bald wieder neuer Ärger mit den Schwarzköpfigen bevorstehen«, sagte sie kauend und schmatzend. »Was ist denn da dran, Inanna?« Sie sah sie scharf an. »Stimmen diese

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