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Kornmond und Dattelwein

Titel: Kornmond und Dattelwein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Mackey
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kämpfte, ihr erstes Kind zur Welt zu bringen. »Eine schwere Geburt«, hatten die Hebammen ihr letzte Nacht mitgeteilt.
    Bitte, laß das Kind gesund und lebendig zur Welt kommen,
kreiste es unentwegt in ihren Gedanken,
und laß es auch die Mutter gut überstehen.
    »Eure Majestät.« Eine der Hebammen steckte den Kopf zur Tür herein. Sicher neue schlechte Nachrichten. Für diesen Morgen hatte sie schon genug Hiobsbotschaften erhalten, und wenn es bei der Geburt neue Schwierigkeiten gab, wollte sie lieber nichts davon hören; zumindest jetzt nicht. Sie sah auf das verklebte Haar der Hebamme und in ihr weißes Gesicht, dem man den seit drei Tagen fehlenden Schlaf deutlich ansah. Die Frau wirkte wie ein lebendiger Leichnam, und schon ihr Atem schien nach Tod und Katastrophen zu riechen.
    »Raus!« brüllte die Königin sie an, und warf einen Tonklumpen nach der erschrockenen Frau. Der Kopf der Hebamme verschwand ruckartig hinter der Tür. Das brachte die Königin gegen ihren Willen zum Lachen. Ja, sie war wirklich ein bösartiges, herrschsüchtiges und schrulliges altes Weib geworden. Hinter ihrem Rücken flüsterte man sich zu, ihr Regierungsstil triebe die Stadt in den Ruin, sie ließe die Stadtmauern nicht instandsetzen und vernachlässige den Aufbau der Armee. Aber was hatten Mauern und Soldaten stets gebracht? Nur Krieg, die mit Abstand dümmste aller menschlichen Beschäftigungen. Die Königin nahm eine Handvoll Ton und fuhr damit fort, das Gesicht der Statue vor ihr zu formen. Sie hatte der Stadt den Frieden gebracht, aber die Narren von Bewohnern wußten das überhaupt nicht zu würdigen. Zwei Generationen lang herrschte nun schon Frieden ohne nennenswerte kriegerische Auseinandersetzung. Und auch keine Menschenopfer mehr an Hut. Aber immer noch war das Volk unzufrieden. Ihre Spitzel berichteten, die Bürger verlangten nach einer Kriegerkönigin, die sie wieder so führen sollte wie die Herrscherinnen zu Zeiten ihrer Großeltern. Doch wer konnte sich eigentlich noch genauer an diese vergangene Zeit erinnern?
    Die Königin sah aus dem Fenster auf den fallenden Regen und dachte an das Frühjahr zurück, in dem die Bergstämme die Stadt angegriffen hatten. Die Kameradinnen der Königin hatten Schulter an Schulter gekämpft und waren bis auf die letzte Frau nieder-gemacht worden. Kinder hatten Steine und Speere ergriffen, um die schwarzköpfigen Angreifer von den Wällen zu verjagen. Ihr Liebster war vor ihren Augen gestorben. Ein Nomadenspeer war ihm durch die Kehle gefahren. Noch Wochen später, bis der große Regen einsetzte, hatte die Stadt nach Blut gestunken. In den Tempeln waren Hut die Siegesopfer dargebracht worden. Zuerst Schafe und Ochsen, doch dann auch wieder Menschenkinder. Säuglinge waren über Nacht auf den Altar gelegt und am nächsten Morgen mit aufgeschlitzter Kehle vorgefunden worden. Knaben und Mädchen wurden von den Priesterinnen während Tempel-Volksfesten geopfert. Fast ein ganzes Jahr lang hatte die Dunkle unangefochten über die Stadt geherrscht, und Lanla wäre beinahe der Vergessenheit anheimgefallen.
    »Sanfte Mutter, beschütze uns davor, jemals wieder solche Tage erleben zu müssen«, flüsterte die Königin, und fuhr mit den Fingerspitzen sacht über das Tongesicht der Göttin. Sie wußte, wer hinter der Unruhe im Volk steckte: Rheti die Hohepriesterin, verwünscht sollte sie sein! Sie wollte die Herrschaft über den Tempel zurückerlangen. Sie wollte, daß Hut wieder die Herrin über die Stadt war.
    »Euer Majestät.« Die Amme war wieder an der Tür und blinzelte wie eine Eule. Ganz sicher brachte sie die Nachricht vom Tod. Zu deutlich stand das in dem weißen, eingefallenen Gesicht geschrieben. Also war damit ihre Linie endgültig zum Aussterben verurteilt. Nie würde ihr ein Enkelkind vergönnt sein. Aber sie würde noch eine Weile am Leben bleiben. Sie war zäher, als alle glaubten. »Euer Majestät, das Kind ...«
    »Ist also tot.« Die Königin setzte sich zurück und ließ die tonverklebten Hände in den Schoß sinken. Mit einemmal fühlte sie sich unendlich müde. Die Hebamme strich ihr orangefarbenes Gewand gerade und räusperte sich umständlich. »Im Gegenteil, Euer Majestät, das Kind ist quicklebendig.« Sie lächelte und verbeugte sich. »Euch ist eine Enkeltochter geboren worden.«
    Das Blut strömte wieder durch die Wangen der Königin. »Und die Mutter?«
    »Ist müde, aber wohlauf, Euer Majestät.«
    Die Königin wollte gleichzeitig lachen und weinen. Am

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