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Kornmond und Dattelwein

Titel: Kornmond und Dattelwein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Mackey
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    »Hochwohlverehrte Gefährtin der Königin,
Muna,
erwacht!« Inanna öffnete die Augen. Als erstes sah sie, daß ihr Zimmer in Sonnenlicht gebadet war. Ein warmer, angenehmer Tag stand bevor, und der Regen hatte endlich aufgehört. »Ihr habt im Schlaf gerufen.« Die Hebammen umstanden sie wie eine Schar Mutterschafe und warfen ihr besorgte Blicke zu. Alna lag friedlich schlafend in Inannas Armen. Keinerlei Mal zeigte sich auf der Stirn des Babies. Also war es doch nur ein böser Traum gewesen. Unendliche Erleichterung kam über sie. Im Käfig schlief die Taube friedlich. Ihre grauen Federn lagen glatt an, und nicht ein Spritzer Blut zeigte sich darauf. Alna begann an den Brüsten zu saugen. Eine kleine Blase trat auf die Lippen des Babies.
    »Möchtet Ihr etwas warme Brühe?« Eine der Hebammen brachte eine Schüssel mit einer dicken, salzigen Flüssigkeit. Hungrig und dankbar aß Inanna davon. Als sie damit fertig war, stellte sie die Schüssel auf einen Tisch, stützte sich auf die Kissen und setzte sich auf.
    »War irgendwer in meinem Zimmer, während ich geschlafen habe?«
    »Nein,
Muna.«
    »Ich träumte, ich hätte eine Frau mit weißem Haar gesehen. Sie war blind.«
    Die Hebammen sahen sich beunruhigt an, bis sich die mit den grauen Augen räusperte:
    »Rheti, die Hohepriesterin, ist blind«, erklärte sie zögernd, »und ihr Haar ist weiß wie Flachs.«
    »Aber ich bin Rheti nie begegnet.« Inanna wurde ärgerlich. »Man sagt, sie habe einige Räume unter dem Tempel und zeige sich nie in der Öffentlichkeit. In all den Wochen, in denen ich dort die Priesterinnen unterwies, ist mir die Hohepriesterin nicht ein einziges Mal unter die Augen gekommen.«
    »Aber wie konntet Ihr dann von ihr träumen?«
    Der Ärger in Inanna verwandelte sich langsam in Verwirrung. »Das weiß ich auch nicht. Vielleicht war sie ja wirklich hier.« Aber als Seb kam und Alna sehen wollte, schwor er, daß er die ganze Nacht hindurch vor der Tür Wache gehalten habe. »Niemand konnte in dein Zimmer hinein«, erklärte er mit schwerer Stimme, »und wenn Rheti oder sonstwer das versucht hätte, hätte ich sie notfalls mit Gewalt davon abgehalten.« Seine Züge waren die von Enkimdu, und ganz besonders hatten beide die gleichen Augen. Aber das redete sie sich wohl nur ein, weil sie den jungen Mann jetzt schon so oft gesehen hatte, beruhigte sie sich. »Inanna«, begann Seb. Seine Miene veränderte sich, und sie erkannte nun, daß er seinen eigenen Gefühle hatte. Und dann wußte sie es, so deutlich, als hätte er es eben ausgesprochen: Seb mochte sie, mochte sie sehr. Sie bemühte sich natürlich gleich, diese Vorstellung zu verdrängen, aber der Gedanke hielt sich mit entnervender Hartnäckigkeit. Wie sehr mochte er sie? Ob er sie wohl liebte? Nein, das war natürlich ausgeschlossen. Aber wenn doch? Das wäre ja so, als würde sie Enkimdu zurückerhalten.
    Ein verflixter, ein dummer Gedanke! Wie konnte man zwei Männer so verwechseln? Was war denn nur los mit ihr? In einem Augenblick machte sie sich Sorgen wegen eines schlechten Traums, und im nächsten erwog sie schon ernsthaft eine Affäre mit Seb, nur weil er Enkimdu ein wenig ähnlich sah.
    »Du siehst gut aus.«
    »Wie ich aussehe, geht dich nichts an«, gab Inanna schnippischer zurück, als sie eigentlich wollte.
    Seb sah sie verwirrt an. »Ich wollte nichts Böses sagen.« Verletzter Stolz tönte aus seinen Worten. Inanna schämte sich. Sie mußten sie ja für eine Wilde mit barbarischen Manieren halten. Was war denn heute nur los mit ihr? Sie war Mutter geworden, und es hätte der glücklichste Tag ihres Lebens sein sollen, aber statt dessen ging irgendwie alles schief. Sie erinnerte sich an den Traum und an die Taube, die sich selbst zu Tode gepickt hatte.
    »Es tut mir leid. Ich fürchte, ich bin noch sehr müde.« Inanna lächelte, um so ihrer spitzen Bemerkung von vorhin die Schärfe zu nehmen. Seb lächelte sie an, und dabei leuchtete sein ganzes Gesicht auf.
    »Möge Lanla dir angenehme Ruhe schenken.« Inanna lehnte sich erschöpft zurück und sah ihm nach, während er das Zimmer verließ. Seine Sandalen klapperten draußen auf den Fliesen, und dieses Geräusch wirkte auf wunderliche Weise beruhigend. Wie weich und angenehm die Kissen waren. Sie wollte wieder einschlafen und diesmal keine bösen Träume haben.
    Alna bewegte sich rastlos. Wie warm und zierlich der Körper eines Babies war. Inanna streckte die Arme aus, um den Säugling näher an sich heranzuziehen. Dabei

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