Kornmond und Dattelwein
Melonen auf kleinen Metalltabletts gereicht, und überall auf dem Boden lagen Blumen in Büscheln gestreut, um den Geruch von Schimmel und Fäulnis zu überdecken. Eine merkwürdige Mattigkeit schien jedermann zu befallen. Alle waren nur noch damit beschäftigt, die Zeit totzuschlagen, und ganze Nachmittage vergingen mit Klatsch und eiskalten Fruchtsäften.
Sie umschwärmen einander wie Fliegen auf Melonenschalen, dachte Inanna, und sie warten darauf, daß irgend etwas geschieht. Aber was? Sie beobachtete die Gefährtinnen der Königin; ihre schweißgetränkten roten Roben und die Edelsteine, die im trüben Licht funkelten. Warum sagte man ihr nichts? Sie spürte die Einsamkeit einer Fremden in dieser Stadt und zog Alna näher an sich heran, um aus ihr Trost zu schöpfen.
Nur die Königin schien ständig wach und aufmerksam zu sein. Tags wie nachts arbeitete sie an ihren Lanla-Statuen und warf die Werkzeuge beiseite, als hätte sie nicht mehr die Zeit, sie sorgfältig an ihren Platz zu legen. In ihren Gemächern in den oberen Stoccwerken des Palasts war es heiß wie in einem Backofen. Inanna war regelmäßig einer Ohnmacht nahe, wenn sie die Königin aufsuchte, aber diese schien die Hitze gar nicht wahrzunehmen; genausowenig wie das Ende des Regens, den Gestank des Flusses oder ihre eigenen Bediensteten. Einen Wangenknochen in den Ton drücken, eine Hand ausformen, Füße an ein Weidengerüst anbringen, das war alles, was sie noch interessierte.
Zur Mittagszeit, wenn das Pflaster der Straßen die Sandalen der Wasserträger verbrannte, wickelte sich die Königin in eine dicke Wolldecke ein, befahl, eine weitere Kohlenpfanne anzuzünden, und schob ihr Essen fort, ohne es angerührt zu haben. Sie muß krank sein, sagte sich Inanna. Ganze Tage verbrachte sie damit, sich den Kopf darüber zu zerbrechen, wie sie der Königin das beibringen sollte, was der Gefangene Sippar ausgesagt hatte. Würden solche Meldungen die Königin überfordern? Sie war eine betagte Frau. Was, wenn Sippars Aussage ihren Zustand verschlimmern würde?
»Du mußt es ihr sobald wie möglich sagen«, drängte Lyra. »Sie liebt dich. Dir wird sie schon zuhören«, beharrte Seb.
Endlich raffte sich Inanna an einem Morgen, als es noch relativ kühl war, auf, zog sich ihr schönstes Gewand an und kleidete Alna in einen neuen, roten Kittel. Sie lief die langen Treppen zu den königlichen Gemächern hinauf und warf sich zwischen Körben voller nassem Ton und Weidenhaufen auf die Knie. »Eine ganze Armee von Schwarzköpfigen macht sich auf, die Stadt anzugreifen«, rief sie.
Die Königin sah nicht einmal von ihrer Arbeit auf. »Das bedeutet gar nichts.«
»Die Zerstörung Eurer Stadt bedeutet gar nichts?«
Die Königin suchte sich ein kleines, spitzes Werkzeug und machte sich über den Kopf ihrer jüngsten Statue her. Rasch und gekonnt formte sie Locken in den Ton. Sie hatte es dabei so eilig, als sei die Zeit ihr ärgster Feind. »Ich habe mein ganzes Leben lang solche Meldungen über bevorstehende Angriffe mitanhören müssen.« Sie drehte sich zu Inanna um, und ihr Mund war in Sturheit zusammengepreßt. Aber als sie Alna in dem neuen Kittel erblickte, trat Sanftheit in ihre Züge, und sie streckte die Arme aus. »Gib mir das Kind.« Inanna erhob sich und reichte ihr das Baby. Die Königin tanzte mit dem Kind im Arm herum. Alna lachte laut und klatschte vor Vergnügen in die Hände.
»Welche Kräuter hast du gegen hohes Alter?« fragte die Königin plötzlich.
»Wie bitte?«
»Meine Mutter ist in diesem Zimmer gestorben. Hast du das gewußt? Ein Pfeil streifte ihren Arm, und die Wunde hat sich entzündet. Dabei war es einer ihrer eigenen Pfeile. Ein dummer Unfall. Findest du das komisch?«
»Nein, Euer Majestät.«
»Nun, das solltest du aber.«
Wie sollte sie es nur anstellen, daß die Königin ihr zuhörte? Inanna beschloß, es einfach noch einmal zu versuchen. »Die Schwarzköpfigen haben sich zu einer großen Armee vereint ... unter einem Führer ...« begann sie, aber die Königin brachte sie mit einer Handbewegung zum Schweigen.
»Das ist doch alles nur ein falsches Gerücht. Eine Art von Verschwörung, um mich dazu zu bewegen, die Armee aufzustocken.« »Aber ich habe selbst mit dem Gefangenen gesprochen. Er hat selbst gesagt, ...«
»Nichts als eine Verschwörung.« Sie klappte den Mund zu. Ihre schwarzen Augen waren hart wie Granit. »Diese Stadt wird in Frieden leben, solange ich am Leben bin. Und auch danach, wie ich hoffe, wenn
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