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Korona

Korona

Titel: Korona Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Thiemeyer
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auf die fingerdicken Ranken, die sich über den Boden zogen.
    Dan fing an, an der Wand entlangzugehen. Er machte einen großen Schritt über die flechtenförmigen Gebilde, die sich wie ein Teppich in alle Richtungen ausbreiteten. Sie waren praktisch überall: an den Wänden, an der Decke, selbst aus den Fugen lugten grüne Triebe hervor. Alles war bedeckt von dieser unheimlichen Pflanze. Dort, wo das wenige Licht zu Boden fiel, konnte man erkennen, dass die Enden der Wurzeln in ein hauchfeines weißes Myzel übergingen, das spinnwebenartig die Steine überzog.
    »Du hast recht«, sagte sie nach einer Weile. »Hier ist nichts. Oyo hat uns tatsächlich schon wieder die Unwahrheit gesagt.«
    »Oder die Bande hat die falsche Haustür erwischt.«
    Sie nickte, aber tief in ihrem Inneren spürte sie, dass das nicht stimmte.
Hier
stimmte etwas nicht.
    Sie ging ein paar Schritte in die Mitte des Saales, wich dabei immer wieder größeren Flechten aus und blieb dann stehen. Die Tür, durch die man sie hereingestoßen hatte, war riesig. Annähernd vier Meter hoch.
    »Ich werde nicht schlau daraus«, murmelte sie. »Meinst du, das war früher einmal ein Lagerhaus oder so was?«
    »Keine Ahnung«, erwiderte Dan ungehalten. »Ist mir auch egal. Ich will raus hier, und zwar schnell. Lass uns mal nachsehen, ob es auf der anderen Seite des Saales irgendeine Fluchtmöglichkeit gibt. Zur Not können wir ja versuchen, an den Lianen hochzuklettern und durch eines der oberen Fenster zu verschwinden.« Er war gerade losgegangen und dabei versehentlich in einen der Rankenhaufen getreten, als er plötzlich stehen blieb. »Hey, was ist denn …?«
    Eine dünne bleiche Wurzel hatte sich um seinen Fuß gelegt und hielt ihn fest. Er versuchte sie abzustreifen, aber die feinen Fäden waren bereits tief in den Stoff seiner Hose eingedrungen. Wie Totenhände hielten sie ihn fest. Dan trat mit einem Fuß auf das Wurzelende und zog das andere Bein hoch. Der dünne Faden riss und erzeugte ein Geräusch, als würde man eine Flasche Mineralwasser öffnen. Bleicher Saft spritzte heraus und benetzte seine Hose. Ein Zucken lief über den grünen Teppich, als habe er einen elektrischen Schlag erhalten.
    Amy trat erschrocken zur Seite. Die Pflanzenmaterie bäumte sich auf und wogte wie ein Seerosenteich, in den man einen Stein geworfen hatte. Um Dans Füße herum war das Zucken, Ringeln und Kräuseln am stärksten. Es sah aus, als stünde er in einem Schlangennest. Von überall her kroch das Material auf ihn zu, so dass der Hügel aus Pflanzenmaterie rasch größer wurde.
    »Pass auf!«, rief Amy. »Mach, dass du wegkommst.«
    Doch Dan reagierte nicht. Wie hypnotisiert stand er da und beobachtete, wie die Wogen aus weißen und grünen Fäden seine Unterschenkel einhüllten. Höher und höher kroch das Geflecht. Schon bald war von seinen Schuhen und dem unteren Teil seiner Hose nichts mehr zu sehen. Endlich erwachte er aus seiner Lethargie. Mit hektischen Bewegungen versuchte er, das Unkraut abzustreifen, doch es gelang ihm nicht. Die Algen hingen wie Kletten an ihm. Sie waren von einer Widerstandskraft und Aggressivität, der der Forscher nichts entgegenzusetzen hatte. Statt von ihm abzufallen, sprang das Geflecht nun auch auf seine Hände und Arme über. Auf seinem Gesicht war panisches Entsetzen zu sehen. »Hilf mir«, schrie er. »Großer Gott, tu doch etwas!«
    Amy überwandt ihren Ekel, eilte auf ihn zu und trat auf die aggressive Pflanzenmaterie. Sie griff mitten hinein und zerrte und zog, doch das Zeug war zäh wie Efeu, nein, schlimmer als das. Es hatte die Konsistenz wie Glasfasern. Es stach und brannte, als würde sie in einen Bottich mit Säure fassen. Entsetzt zog sie ihre Hände zurück. Ihre Finger bluteten aus unzähligen kleinen Wunden. Das Algengeflecht krümmte und wand sich auf ihrer Haut, doch merkwürdigerweise blieb sie davon verschont. Es schien, als habe die Pflanze es nur auf Dan abgesehen.
    Auch er blutete inzwischen. Seine Hände, seine Arme und Beine waren von feinsten Schnitten übersät. Mit würgendem Ekel sah Amy, wie seine Haut an manchen Stellen Beulen warf. Das Geflecht musste unter seine Haut gelangt sein.
    » GEEEH WEEEG !«, schrie er auf die Pflanze ein. Seine Stimme hatte kaum noch etwas Menschliches. Er zappelte und schlug um sich, doch die Ranken waren nicht aufzuhalten. Als das Geflecht seinen Kopf erreichte, ging sein Geschrei in unkontrolliertes Kreischen über. Ein animalischer Laut drang aus seiner Kehle, dann

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