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Korona

Korona

Titel: Korona Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Thiemeyer
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Ihm war kalt. Die Müdigkeit lag schwer auf seinen Lidern. Wie gern hätte er seine Augen wieder geschlossen, doch er spürte, dass etwas geschehen war. Er durfte jetzt nicht schlafen.
    Er hob den Kopf und blickte sich vorsichtig um. Was er sah, war nicht ganz klar, und er musste erst mal mit seinen Augen zwinkern, um sicherzugehen, dass er sich nicht täuschte. Amys Finger ruhten sanft auf seiner Stirn. Ihre Augen waren auf einen fernen Punkt gerichtet, irgendwo links von ihnen. In ihrem Gesicht war ein Ausdruck, wie er ihn noch nie an ihr bemerkt hatte: eine Mischung aus Abscheu und Faszination.
    Er versuchte den Kopf zu heben, doch er war wie gelähmt. Warum nur konnte er seine Arme und Beine nicht bewegen und warum lag sein Kopf auf Amys Schoß?
    Er erinnerte sich, wie man sie in den Tempel geworfen und die Tür versperrt hatte. Danach war ein großes schwarzes Loch in seinem Gedächtnis. Irgendetwas war mit den Pflanzen gewesen. Etwas Schreckliches.
    »Amy?« Seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern.
    Die Biologin reagierte nicht.
    »Kannst du mich hören?«
    Immer noch keine Reaktion.
    Er mobilisierte seine Kraftreserven und hob den Kopf. Er wollte sehen, was sie so fesselte, dass sie nicht mit ihm sprechen konnte. Ihm war immer noch schwindlig. Die Kälte lag wie ein feuchtes Handtuch auf seinen Gliedern. Langsam, sehr langsam strömte das Leben in ihn zurück.
    Außerhalb des Gebäudes rauschte der Wind, man konnte es durch die Lichtschächte hören. Aber war es wirklich der Wind?
    Plötzlich sah er die Bewegung.
    Irgendetwas kam auf sie zu.
    Es war riesig. Es bewegte sich im Schatten entlang der Wände. Die Wurzeln, die wie Wasser von den Wänden herabströmten, verliehen ihm eine perfekte Deckung. Genau genommen konnte man gar nicht sagen, wo die Pflanzen endeten und die Kreatur anfing. Arme, Beine und der Kopf des Wesens bestanden aus einer sich windenden und krümmenden Pflanzenmaterie und bildeten eine perfekte Symbiose mit seiner Umgebung.
    Dan tat einen tiefen Atemzug. Mit einem Mal fiel ihm alles wieder ein. Die Flechten, die Wurzelfäden, der Angriff …!
    Eine kaleidoskopartige Folge von Bildern zuckte vor seinem geistigen Auge. Er war auf etwas getreten. Etwas Lebendiges. Es hatte Besitz von ihm ergriffen, war über ihn hinweggerollt und in ihn eingedrungen. Und dann? Das Algengeflecht hatte ihn verschmäht. War nach all der Anstrengung einfach zurückgekrochen.
    Warum?
    Mit Grauen blickte er auf das Wesen, das langsam auf sie zuschlurfte.
    Der Namenlose hatte die Menschen beinahe erreicht. Der Mann war aus seiner Bewusstlosigkeit erwacht. Gut so. Er mochte es nicht, wenn seine Opfer ohnmächtig waren. Die Ohnmacht war ein schaler Gefährte des Todes. Und was den Tod betraf – das war seine Domäne.
    Er war überrascht, dass die beiden nicht zu fliehen versuchten. Die übliche Reaktion seiner Opfer bestand in einer Mischung aus Angst, Panik und Flucht. Viele der Menschen mussten betäubt werden, um nicht in Raserei zu verfallen, doch diese hier waren anders. Sie waren nüchtern und unverdorben. Und sie waren mutig.
    Ein besonderes Geschenk der Herrscherin von Kitara an ihren obersten Krieger. Welch Vergnügen es ihm bereiten würde, sich an ihren Körpersäften zu laben.
    Der Namenlose verharrte in der Bewegung. Irgendetwas stimmte nicht. Er spürte es bis in die feinsten Windungen seiner Hyphen. Er blieb stehen und prüfte die Luft mit seinen Kapillaren. Da war es wieder, dieses eigenartige Déjà-vu.
    Irgendetwas an den beiden war ihm vertraut. Als wäre er ihnen schon einmal begegnet – in einem anderen Leben.
    Das Wesen war bis auf wenige Meter an sie herangekommen und war nun stehen geblieben. Es machte keinerlei Anstalten, sie anzugreifen oder zu töten. Aufgerichtet, leise Atemgeräusche ausstoßend, stand es da und beobachtete sie.
    Ein feiner Geruch umwehte Dans Nase. Der Duft hatte etwas Scharfes, Belebendes an sich. Ein Geruch, der die Lebensgeister erweckte. Er fühlte, wie Kraft und Wärme seine Gliedmaßen durchströmten. Die Kälte wich aus seinen Armen und Beinen und wich einem Kribbeln, als würden tausend Ameisen über sein Bein ziehen.
    Von unerklärlicher Neugier gepackt, richtete er sich auf. Die Bewegung fiel ihm schwer. Es war, als müsse sein Körper sich erst wieder daran erinnern, wie es war, selbständig zu handeln. Doch als der Augenblick überstanden war, spürte er, wie das Leben in seinen Körper zurückdrängte. Eine unerklärliche Ruhe hatte sich in ihm

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