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Korona

Korona

Titel: Korona Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Thiemeyer
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ausgebreitet. Die Angst, die ihm bis vor kurzem die Kehle mit eiserner Faust zugedrückt hatte, war wie weggeblasen. Wie ein kleiner Vogel flatterte sie in einem entfernten Winkel seines Bewusstseins herum. Er versuchte aufzustehen.
    Amy packte seine Hand. »Nicht bewegen. Vielleicht lässt es uns in Ruhe, wenn wir uns still verhalten.«
    Dan sah ihr in die Augen, dann löste er seine Hand.
    »Ich habe keine Angst«, sagte er. »Wenn es uns töten will, dann hätte es das vermutlich schon längst getan.«
    »Das kann es immer noch tun.« Ihre Stimme klang wie eine zu stark gespannte Saite.
    Doch ihn schreckte das nicht, im Gegenteil. So seltsam es klang, aber Amys Furcht gab ihm Mut und Selbstvertrauen. Vielleicht eine Nachwirkung seines Kontakts zu dem Flechtengewächs?
    Mit entschlossenem Gesichtsausdruck trat er vor und stellte sich der Kreatur in den Weg.
    »Wer bist du? Was willst du?«
    »Sei doch still«, zischte Amy.
    Dan breitete die Arme aus. »Mein Name ist Daniel Skotak. Dies ist Amy. Wir sind von weither gekommen, nur um dich zu sehen. Wenn du etwas zu sagen hast, sprich zu uns.«
    »Du liebe Güte, was faselst du denn da?«
    Dan ignorierte die Einwände der Biologin. Er war voll und ganz Herr der Lage.
    Das Wesen hob seinen Kopf. Seine Augen, die bisher im Dunkeln gelegen hatten, traten deutlich hervor. Inmitten des Durcheinanders aus sich windenden und pulsierenden Wurzelfäden wirkten sie wie Fremdkörper. Dan erfasste diese Augen mit seinem Blick und hielt sie gefangen. Auf einmal glaubte er etwas darin zu erkennen. Die Erkenntnis traf ihn wie ein Schlag. »Das ist doch …«, murmelte er.
    »Das ist doch nicht möglich.«
    Der Namenlose erschauerte.
    Dan? Amy?
    Er kannte diese Namen. Sie stammten aus seinem früheren Leben. Einem Leben, das längst vergangen war und das nur noch in den Tiefen seiner Erinnerung existierte.
    Wie konnte es sein, dass diese beiden den Weg zu ihm gefunden hatten?
    Dan hatte das Gefühl, jemand würde ihm den Boden unter den Füßen wegziehen. Die Kraft in seinen Beinen war schlagartig verschwunden.
»Will«,
entfuhr es ihm. »William Burke!«
    Die Kreatur machte eine Bewegung, die man als Nicken deuten konnte.
    Dan fasste sich an den Kopf. Er spürte, dass er kurz davor stand, den Verstand zu verlieren. »Das gibt’s doch nicht«, stammelte er. »Ich bin’s, Dan. Dein alter Freund. Erinnerst du dich?«
    Das Wesen rutschte auf ihn zu, dann neigte es sein Haupt, bis sein Gesicht nur noch einen knappen Meter von seinem eigenen entfernt war.
    Diese Augen …
    Williams Augen waren schon immer unverwechselbar gewesen. Eisgrau, mit einem schmalen dunklen Rand um die Iris.
    »Du bist es, nicht wahr?«, flüsterte Dan. »Ich kann es spüren. Komm schon, gib mir ein Zeichen, irgendeines.«
    Die Kreatur hob einen ihrer meterlangen Arme und legte ihn auf Dans Schulter. Wurzelfäden traten hervor und berührten zärtlich seine Haut. Es war, als würde man von einer Feder gestreichelt. Ein tiefes Stöhnen drang aus dem Brustkorb des Wesens.
    Dan drehte seinen Kopf. »Hast du das gesehen, Amy? Es ist William. Er hat mich erkannt. O Gott, er hat mich erkannt.«
    In diesem Moment spürte er einen brennenden Schmerz in seiner Brust. Er blickte an sich herab und sah eine sich krümmende Wurzelspitze aus seiner Brust hervortreten. Dann noch eine und noch eine. Bald wucherte ein ganzer Wald. Ein roter Fleck entstand, der rasch größer wurde. Der Schmerz war unvorstellbar.
    Dann schrie Amy.

68
    D ie Kreatur hatte den Geologen vollkommen eingehüllt. In einer Art zärtlicher Umarmung schlang sie ihre Arme um ihn und drückte ihn an ihren Körper. Doch diesmal war die Umarmung alles andere als zärtlich. Das Geflecht durchbohrte verschiedene Teile seines Körpers und ließ ihn aussehen, als wäre er an ein Netz von Elektroden angeschlossen. Amy hörte ein Knacken und Brechen wie von morschem Holz, gefolgt von einem gurgelnden Schrei. Ein Blutstrahl schoss aus Dans Mund. Der Körper des Geologen zuckte und zappelte wie eine dieser Elvis-Puppen, die man an den Rückspiegel seines Autos hängen konnte. Seine Augen traten hervor, bis sie nur noch aus Weiß bestanden. Dann hüllte das Geflecht ihn vollkommen ein und senkte gnädig den Vorhang über das, was sich darunter abspielte.
    Vor Angst und Entsetzen stöhnend kroch Amy zurück. Tränen rannen ihr übers Gesicht, brannten auf ihrer Haut.
    »Vater unser im Himmel«, flüsterte sie. »Geheiligt werde dein Name. Dein Reich komme, dein Wille

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