Korona
schattenhaften Umriss eines Teammitglieds in Gummistiefeln über die Lichtung rennen, einen Schirm über dem Kopf oder die Kapuze tief ins Gesicht gezogen. Verwischte Schatten in einem Flickenteppich aus grauen Schlieren.
Eigentlich wäre jetzt im Februar die kleine Trockenzeit. Amy hatte vorgehabt, mit der Zählung der Susa-Gruppe zu beginnen und dann die gesamte Seite des ugandischen Teils der Virungas nach Gorillafamilien abzusuchen. Es war die Zeit der jährlichen Bestandsaufnahme. Wie bei jedem größeren Betrieb herrschte zu Beginn eines neuen Jahres Inventur. Aber an Arbeiten im Wald war bei einem solchen Wetter nicht zu denken. Selbst die Gorillas hockten jetzt unter den Blättern und würden auf jede Art von Störungen aggressiv reagieren. Sie hassten Dauerregen, er machte sie depressiv und reizbar. Was diese Abneigung betraf, standen sie den Menschen in nichts nach. Amy bekam beinahe täglich Anfragen vom Büro für Tourismus, wann die Besuchssperre endlich wieder aufgehoben wurde und täglich musste sie antworten, dass sie es nicht wisse. Und ausgerechnet in diese trübe Stimmung flatterte eine Mail, deren Inhalt niederschmetternder nicht sein konnte.
Im Süden des Parks, in der Mikeno-Region – der kongolesischen Seite der Virungas – hatte es einen Anschlag gegeben. Eine der Gorillafamilien war angegriffen worden – die Täter hatten drei Weibchen ermordet. Alle hatten sie Jungtiere gehabt, doch von denen fehlte bisher jede Spur. Beim Versuch, die eindringenden Rebellen zurückzuschlagen, waren vier Wildhüter verletzt worden. Einer von ihnen so schwer, dass er noch auf dem Weg zum Krankenhaus starb.
Mit düsterem Blick ließ Amy den Ausdruck durch die Finger gleiten. Erst Burkes Verschwinden, dann das seltsame Verhalten der Gorillas und jetzt das. Es schien, als habe sich alle Welt gegen sie verschworen.
Ein Klopfen riss sie aus ihren Gedanken.
»Ja?«
Die Tür schwang auf und auf der Schwelle erschien ein völlig durchnässter Richard. »Störe ich?«
»Komm rein«, sagte Amy. »Aber pass auf, dass du nicht über die Plastikfolien stolperst.«
Richard zog seine Regenjacke und seine Gummistiefel aus und stellte beides draußen auf die Veranda. Dann setzte er seine Brille ab, trocknete sie mit einem Stofftaschentuch und trat ein. »Bei uns drüben ist es auch nicht besser«, sagte er, während er in die Runde blickte. »Offenbar sind die Dachfugen durch die Temperaturunterschiede undicht geworden. Wird Zeit, dass wir die mal ausbessern.« Er schloss die Tür und kam näher. »Wie geht es dir? Ich habe dich den ganzen Tag noch nicht gesehen.«
»Hier, lies mal.« Amy reichte ihm die Mail. Ein dicker Tropfen landete auf dem Papier und brachte die Druckertinte zum Verlaufen.
»Was ist das?«
»Lies!«
Richard machte es sich auf einem Hocker bequem und wischte mit dem Ärmel über das Papier. Während er den Inhalt überflog, wurden seine Augen größer. Als er die Seite beendet hatte, hob er den Kopf. »Sag, dass das nicht wahr ist.«
»Ich fürchte doch«, sagte Amy.
»Das ist eine verdammte Katastrophe.« Seine Augen wurden zu Schlitzen. »Waren das die Mai-Mai?«
»Sieht fast so aus. Das wahllose Abschlachten von Tieren trägt genau ihre Handschrift.« Amy schauderte es jedes Mal, wenn sie an die Mai-Mai dachte. Die Rebellenmilizen waren während des zweiten kongolesischen Krieges gegründet worden, um einzelne Dörfer vor Übergriffen der Regierungstruppen oder der ruandischen Invasoren zu schützen. Nach Beendigung der Feindseligkeiten blieben die Gruppen bestehen, fielen jedoch unter die Herrschaft der Warlords, die sie zu ihren eigenen Zwecken missbrauchten. Manche der Gruppen waren zwar politisch motiviert, den meisten ging es aber nur um Plünderungen, Brandschatzung und Wegelagerei. Die Mai-Mai waren die Pest. Immer wenn man glaubte, sie wären verschwunden, tauchten sie an anderer Stelle wieder auf. Für die Gorillas stellten sie neben den Wilderern die größte Bedrohung dar.
»Verfluchte Schweinerei«, grummelte Richard, während er den Text ein zweites Mal las. »Sieben Milliarden Menschen auf der einen Seite und siebenhundert Gorillas auf der anderen. Und immer noch gibt es ein paar Idioten, die meinen, diese Tiere aus welchen Gründen auch immer abschlachten zu müssen. Das will mir beim besten Willen nicht in den Kopf. Können wir irgendwie helfen?«
Amy wischte einige Wassertropfen von ihrem Schreibtisch. »Ich habe vorhin ein paar Telefonate geführt. Niemand hat
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