Korona
etwas gesehen oder gehört, aber die Wildhüter drüben auf der anderen Seite sagen, sie hätten die Lage im Griff.«
»Ja, aber wie lange noch? Wir brauchen einfach mehr Leute.«
»Allerdings. Und zwar schnell.« Amy wusste um das Problem der leeren Kassen. Das gesamte Schutzprogramm fußte auf dem Gorilla-Tourismus und den Spendengeldern. Wenn die Lage schlimmer und die Region politisch instabil wurde, würden die Touristen ausbleiben und mit ihnen ihre Haupteinnahmequelle. Acht Besucher durften pro Tag und pro Gorillagruppe in die Berge. Hier in den Virungas waren es zehn habituierte Gruppen, die an Menschen gewöhnt waren. Jeder Besucher benötigte ein
Permit,
einen Tagesschein, der es ihm erlaubte, für eine Stunde die Affen beobachten zu dürfen. Bei dem derzeitigen Preis von fünfhundert Dollar pro Permit ergab das im Maximum vierzigtausend Dollar
am Tag.
Für Staaten wie Uganda und Ruanda war der Gorillatourismus eine enorme Einnahmequelle. Doch es landete alles beim Staat. Was zurückfloss, reichte nicht mal aus, um genügend Wildhüter einzustellen, geschweige denn, ihnen einen angemessenen Lohn zu zahlen. Das Risiko, das sie trugen, war nicht gerade klein, und das Gebiet, das sie bewachten, zu groß. Irgendwo gab es immer Lücken, und die Mai-Mai wussten, wo sie waren.
Sie verschränkte die Hände hinterm Kopf. »Wie macht sich denn unser Neuer?«
»Ray?« Richard lachte trocken. »Der Typ kann wirklich zupacken. Latrinen reinigen ist bei diesem Wetter wahrlich kein Zuckerschlecken. Im Moment setzen wir ihn überall dort ein, wo Not am Mann ist. Kochen, putzen, instandhalten, das Lager befestigen, Ablaufrinnen schaufeln, Erde aufschütten, Stützpfosten einrammen, solche Sachen. Ohne seine Hilfe wären die Zelte am Osthang schon längst weggeschwemmt worden. Ich bin sehr dankbar, dass er hier ist.«
Amy ließ gedankenverloren einen Bleistift zwischen ihren Fingern kreisen. »Wie findest du ihn?«
Richard überlegte kurz, dann sagte er: »Ray ist in Ordnung. Er kann hart arbeiten, mäkelt nicht rum und ist fix im Kopf. Für meinen Geschmack ein bisschen verschlossen, aber das ist schon okay so. Wenn man es genau nimmt, sind wir ja alle recht seltsam hier.«
»Und das Team?«
»Sie mögen ihn, die meisten jedenfalls. Dan Skotak ist der Einzige, der offen seine Abneigung zeigt.«
»Wieso das?«
»Ich glaube, unser Geologe leidet gerade ziemlich an den Folgen seiner Eifersucht.«
»Wegen Mellie?«
Er nickte. »Sie scheint einen Narren an dem Iren gefressen zu haben. Hängt ständig bei ihm rum und macht ihm schöne Augen. Dan ist das natürlich ein Dorn im Auge. Du weißt ja, wie lange er ihr schon nachstellt.«
»Meinst du, da könnte sich was anbahnen?«
Richard zuckte die Schultern. »Wundern würde es mich nicht. Ray macht zwar gern auf cool, aber ich glaube, in seinem Inneren ist er sehr verletzlich. Auf Frauen wirkt so etwas überaus reizvoll. Wenn du mich fragst, der taut schon noch auf. Er braucht nur ein bisschen Zeit.«
»Hm …« Amy klopfte mit der Spitze des Bleistifts auf die Tischplatte.
Richard beobachtete sie aufmerksam über den Rand seiner Brille hinweg. »Du vertraust ihm nicht, habe ich recht?«
Sie zögerte. Sie war kein Freund vorschneller Urteile, aber sie spürte, dass Ray Cox ein Geheimnis vor ihr verbarg. »Ich weiß nicht, was ich von ihm halten soll«, gab sie freimütig zu. »Wie du schon sagst: Rein oberflächlich betrachtet ist er okay. Ich kenne seine Geschichte und weiß, dass er schwere Zeiten hinter sich hat. Meine Skepsis hat auch weniger etwas mit ihm selbst zu tun, sondern vielmehr mit den Begleitumständen, unter denen er zu uns gekommen ist. Warum wurden wir so spät informiert? Warum diese Geheimniskrämerei? Ich habe vorgestern mit Whitman telefoniert, um ihm zu sagen, dass unser Gast wohlbehalten eingetroffen ist. Ich hatte gehofft, bei dieser Gelegenheit ein paar Einzelheiten zu erfahren. Doch selbst auf gezielte Fragen hin hat der Alte nur ausweichend geantwortet. Je weniger klare Aussagen ich bekam, umso stärker wurde mein Verdacht, dass hier etwas nicht mit rechten Dingen zugeht. Du weißt, wie Conrad normalerweise ist.«
Richard nickte. »Er nimmt nie ein Blatt vor den Mund.«
»Ihn so ausweichend zu sehen, macht mich misstrauisch.«
»Glaubst du im Ernst, dass mit Ray etwas nicht stimmt?«
»Ich weiß nicht, was ich glauben soll«, sagte Amy. »Aber mir lässt die Sache keine Ruhe.«
»Ist bestimmt nur eine Lappalie.«
Seufzend griff
Weitere Kostenlose Bücher