Korona
Vorstellungen sind kontraproduktiv. Was schlägst du vor? Dass wir einfach hier sitzen bleiben und darauf warten, dass wir aufwachen? Das kann nicht dein Ernst sein. Spätestens dann, wenn wir von irgendetwas Giftigem gebissen oder gestochen werden, müssen wir uns von dieser Idee verabschieden. Nur ist es dann zu spät.«
»Und was sollen wir deiner Meinung nach tun?« Es war Mellie, die sie wieder auf den Boden der Tatsachen zurückholte. »Ich meine … irgendwie müssen wir doch versuchen, wieder zurückzukommen, oder?«
»Du hast recht«, sagte Amy. »Ich schlage vor, dass wir zuerst zur Pyramide zurückgehen und dann versuchen, von dort aus unser Lager wiederzufinden. Wir brauchen eine Unterkunft, wir brauchen Nahrung und – was am Allerwichtigsten ist – wir brauchen Wasser.«
35
R ay ging voran. Von allen im Team war ihm der Pfad zurück zur Pyramide am vertrautesten. Immerhin war er ihn mehrmals gelaufen, einmal sogar bei Nacht. Seine Fähigkeit, sich orientieren zu können, war überaus hilfreich, denn das Licht unter den Baumkronen reichte kaum aus, um weiter als zehn Meter zu sehen. Alles war in ein geheimnisvolles Zwielicht getaucht. Die Luft war schwer und lag bleiern auf der Lunge. Nicht viel später und er war bis auf das Unterhemd durchgeschwitzt.
Während sie durch das Unterholz gingen, untersuchte Ray das Gestrüpp rechts und links des Pfades. Irgendwo mussten doch Beeren, Schoten oder Wurzeln sein, jeder Wald hatte irgendwelche Nahrungsmittel zu bieten. Doch sosehr er es auch herbeisehnte, er konnte nichts entdecken. Weder Wurzeln noch Früchte, noch Wasser. Stattdessen eine Menge Pflanzen, die er noch nie zuvor gesehen hatte. Seltsam verdrehte Stauden, lumineszierende Blütenkelche und klingelnde Fruchtknoten. Alles wunderschön anzuschauen, aber nichts, was irgendwie vertraut aussah.
Und mit jeder Minute, die verstrich, wurde der Wald dichter.
Etwa eine Stunde später erreichten sie die Senke. Die Flanken der Pyramide ragten steil und bedrohlich gegen die dunklen Bäume auf. Im Hintergrund waren Felsklippen zu sehen, die das mächtige Bauwerk um etliche Meter überragten. Ray konnte sich nicht erinnern, diese Felsen vorher schon einmal gesehen zu haben, aber was besagte das schon? Die Realität war ohnehin völlig aus den Fugen geraten.
»Meint ihr wirklich, dass wir da drin sicher sind?« Misstrauisch blickte die Botanikerin zu dem dunklen Gebäude hinüber. »Ich habe keine guten Erinnerungen an das Gewitter.«
»Wir brauchen ein Dach über dem Kopf«, sagte Amy. »Morgen können wir uns gern nach einer Alternative umsehen, aber heute Nacht werden wir hierbleiben. Wenn wir hier noch länger bleiben wollen, benötigen wir einen festen Unterschlupf.« Sie wischte den Schweiß von ihrer Stirn. »Wir müssen dringend unsere Vorräte auffrischen. Was danach kommt, sehen wir dann.«
»Wir könnten in Zweiergruppen die Umgebung absuchen«, schlug Karl vor. »Wäre doch gelacht, wenn wir nichts finden.«
»Einverstanden. Zunächst möchte ich jedoch, dass ihr euch eine Weile ausruht. Die letzten Stunden waren nicht gerade leicht. Durchsucht eure Taschen und die Rucksäcke. Vielleicht findet ihr dort etwas Essbares. Wir müssen zu Kräften kommen, wenn wir hier wieder herauswollen.«
»Ich hätte vielleicht eine Idee, wo wir Wasser finden könnten«, sagte Ray. »Erinnert ihr euch an die Ranken im Inneren der Pyramide? Sie sahen ziemlich dick und saftig aus. Mit etwas Glück werden wir dort fündig. Sobald wir da sind, kümmere ich mich darum.«
»Schön«, sagte Amy. »Und fangt am besten gleich damit an, trockenes Holz zu sammeln. Ich habe noch ein paar Streichhölzer. Damit können wir Feuer machen. Auf, Leute, versuchen wir unser Glück.«
Es war am Nachmittag, als die Gruppe die Pyramide verließ, um die Umgebung nach Essbarem abzusuchen. Während Amy, Karl und Dan die Umgebung sondierten, drangen Mellie und Ray in den hinteren Teil der Pyramide vor, auf der Suche nach Wasser. Es war stockfinster, doch Ray hatte aus einem stabilen Ast, ein paar Stofffetzen und einer Flasche Sonnenöl eine halbwegs brauchbare Fackel gebastelt. Die Flammen warfen zuckende Schatten an die Wände.
Je weiter sie kamen, desto dichter wuchsen die Ranken. Ray nickte zufrieden. Dort, wo der riesige Saal endete, wuchsen sie am dichtesten. »Ich glaube, hier sollten wir es mal versuchen.« Er gab Mellie die Fackel und zog sein Messer. »Am besten, wir nehmen uns diese Wurzel hier vor, siehst du?«
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