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Korona

Korona

Titel: Korona Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Thiemeyer
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doch nicht wahr sein.«
    Ray ballte seine Hände zu Fäusten. Bis zum letzten Augenblick hatte er sich die Hoffnung bewahrt, dass sie alle einen fundamentalen Denkfehler begangen hatten. Die Erkenntnis, dass dem nicht so war, traf ihn wie ein Schock.
    »Ich sage es ja nicht gern, Dan«, sein Mund war seltsam trocken, »aber diesmal hattest du verdammt recht. Wir sind tatsächlich nicht länger in Kansas.«

34
    A my knabberte an ihrer Unterlippe. Was sie da sah, durfte eigentlich gar nicht existieren. Die vertraute Umgebung war verschwunden. Es gab keine Brücke, keine Felswand, keine Schlucht. Es gab auch keinen Baum, keinen Strauch und keinen Fluss. Es war, als hörte die Welt vor ihren Füßen einfach auf.
    Ein bernsteinfarbenes Meer aus Dunst umgab sie. Dunkle Tupfer, die wie Wolken aussahen, unterbrachen die endlose Weite, verliehen ihr Struktur und Tiefe.
    Und es war heiß. Feuchte Schwüle umfing sie und schnürte ihnen die Kehle zu. Was war aus der Kälte geworden, die den Ruwenzori mit eisiger Hand umklammert hatte, was aus dem Schnee? Es war, als habe es all das niemals gegeben.
    Amy trat an den Rand und blickte hinunter. Die Abbruchkante war durchzogen von Trockenrissen, aus denen merkwürdige Blüten emporwuchsen. Lianen und andere Kletterpflanzen schlängelten sich die Steilwand hinab und verschwanden in unauslotbaren Tiefen. Amy trat vor und versuchte zu erkennen, wo die Steilwand endete. Ein Schwall von Sand und Steinen prasselte in den schwindelerregenden Abgrund.
    »Sei lieber vorsichtig, die Kante ist ziemlich bröckelig.« Ray hatte seine Hand auf ihre Schulter gelegt und zog sie sanft zurück. »Du willst doch nicht abstürzen, oder?« Er deutete in den Abgrund.
    »Nein.« Sie schüttelte verwirrt den Kopf.
    »Wir sollten alle aufpassen«, sagte Ray. »Der Hang ist total verwittert. Er könnte jederzeit abrutschen.«
    Amy drehte sich um. Der Saum des Waldes wirkte völlig verändert. Dicke Lianen hingen zwischen den Bäumen, deren Stämme dicker und knotiger wirkten, als sie sie in Erinnerung hatte. Der Ruf eines unbekannten Vogels drang an ihr Ohr. Einsam und klagend verhallte er in den Weiten des Himmels. Ein Schwirren lag in der Luft, das sich zu einem Brausen steigerte. Plötzlich schoss ein Schwarm von Fledermäusen aus der Tiefe zu ihnen empor, zog über sie hinweg und tauchte in den Halbschatten der Bäume.
    Fern am Horizont ging langsam die Sonne auf.
    »Wo sind wir hier?«, flüsterte Mellie. »Wo ist das andere Ufer? Wo ist Afrika?«
    Niemand antwortete. Die Stille und die erdrückende Weite hatte sie alle gelähmt. Jedes Wort, jede Geste, ja jeder Gedanke schien fehl am Platze.
    »Zumindest eines dürfte sicher sein«, sagte Karl nach einer Weile. »Wir sind nicht mehr dort, wo wir hergekommen sind.«
    »Im gesamten Rift Valley gibt es keine solche Schlucht«, murmelte Dan. »Nicht dort und auch nirgendwo sonst auf der Welt. Selbst der Grand Canyon ist dagegen ein Rinnsal im Boden. Ich weiß nicht, wo wir gelandet sind, aber ganz sicher sind wir nicht mehr in Uganda.«
    »Trotzdem gibt es Übereinstimmungen«, sagte Ray. »Seht euch diese Steine an.« Er hob einen auf und hielt ihnen den anderen unter die Nase. »Dasselbe Material wie auf dem Hochplateau. Schwarzer Basalt. Die Pyramide wurde daraus erbaut. Auch die Anordnung der Felsen ist dieselbe. Ich erinnere mich ganz genau an diesen Steilabfall dort drüben. Ich bin ihn runtergelaufen, als ich zum Wasserholen ging. Und dann diese Sträucher und Bäume, alles genau wie zuvor. Nur der Pfad ist nicht mehr da …«
    Mellie zog ironisch eine Augenbraue in die Höhe. »Willst du uns etwa erzählen, wir würden uns das alles nur einbilden?«
    »Das nicht, aber …«
    »Seht mal da vorn.« Karl war ein Stück vorausgegangen und deutete mit der Hand auf etwas. »Für was haltet ihr das?« Er zeigte in die Richtung, in der die Sonne aufging. Vor dem schwefelgelben Himmel waren dunkle Tupfer zu erkennen.
    »Also Wolken sind das nicht«, sagte Karl. Ray musste ihm recht geben. Für Wolken hatten sie einen viel zu seltsamen Umriss. Oben abgeflacht, unten spitz zulaufend und in einer Vielzahl spitzer Fortsätze endend, die wie Flechten oder Bärte herunterhingen. Mächtige Lianen hingen von ihnen herab, die die Gebilde wie ein Spinnennetz verbanden.
    Nach einer Weile war es so hell geworden, dass es keinen Zweifel mehr geben konnte, was das war.
    »Es sind Inseln«, sagte Karl.
»Schwebende
Inseln. Von unsichtbaren Kräften in der Schwebe

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