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Korona

Korona

Titel: Korona Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Thiemeyer
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vielleicht ein Brocken.«
    »Allerdings«, erwiderte Ray, der selbst völlig überrascht war. »Ich konnte es nur undeutlich erkennen, aber es hatte enorm lange Arme und einen mächtigen Oberkörper, so viel ist mal sicher.«
    »Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, das war ein Gorilla. Aber das ist ja eigentlich unmöglich, oder?« Sie kniff die Augen zusammen. »Wo ist er hin?«
    »Irgendwo in die Richtung.« Er deutete nach rechts.
    »Sollen wir ihm folgen?«
    »Und riskieren, als aufdringlich empfunden zu werden?« Ray blickte skeptisch. »Wenn es an uns interessiert ist, wird es wiederkommen. Solange würde ich den eingeschlagenen Weg beibehalten. Der Waldrand ist schon ziemlich nah, siehst du?«
    Die hellen Stellen zwischen den Bäumen waren merklich größer geworden.
    »Und wenn es nicht zurückkommt?«
    Er zuckte die Schultern. »Dann müssen wir uns wenigstens nicht den Kopf darüber zerbrechen, was es war. Komm, lass uns weitergehen.«
    Wenig später erreichten sie den Rand des Waldes. Die Bäume endeten auf breiter Front und gaben den Blick auf das frei, was dahinter lag. Ray trat in den hellen Sonnenschein hinaus und blieb geblendet stehen.
    Die Biologin beschirmte ihre Augen mit der Hand.
    »Endstation«, sagte sie.
    »Das war zu befürchten.« Ray blickte hinaus in die bernsteinfarbene Endlosigkeit. Ein warmer Wind strich über seine Haut. Die Abbruchkante verlief zu beiden Seiten in einem schmalen Bogen, der hinter der Waldgrenze im Dunst verblasste. Auf der anderen Seite sah es nicht besser aus. Wohin das Auge reichte, nichts als endlose Weite.
    »Ich hatte mir immer schon mal gewünscht, auf einer einsamen Insel zu sein.« Amys Stimme klang traurig. »Aber nicht so. Wir werden niemals von diesem Brocken runterkommen, oder?«
    »Das ist noch nicht raus«, erwiderte Ray. Sein Blick wanderte hinüber zu den anderen Inseln. Auf die Entfernung hin konnte man Bäume, Büsche und Strauchwerk erkennen. Vögel umkreisten die Gebilde.
    »Schön, nicht wahr?«
    »Wenn man auf Dalí oder Magritte steht, schon.«
    Er trat einen Schritt nach vorn und warf einen Blick in die Tiefe. Der Abgrund war schwindelerregend. Er klaubte einen Stein vom Boden und ließ ihn runterfallen. Der Punkt wurde kleiner und kleiner und verschwand schließlich ganz.
    »Junge, ist das tief.«
    »Pass bloß auf, dass du nicht abstürzt.«
    »Machst du dir etwa Sorgen?« Er wandte sich zu ihr um.
    Amy sagte nichts. In ihren Augen lag eine tiefe Traurigkeit. Plötzlich trat sie einen Schritt auf ihn zu. Er nahm sie in den Arm, bettete wie selbstverständlich ihren Kopf an seine Schulter und vergrub ihr Gesicht in seinem Hemd. Sie roch gut.
    »Mach dir keine Sorgen«, flüsterte er. »Uns wird schon was einfallen.«
    Sie hob ihr Gesicht. Ihre Augen waren feucht. In ihnen lag ein Ausdruck, wie er ihn noch nie zuvor bei ihr gesehen hatte. Für einen Augenblick hatte er das Gefühl, sie wolle ihn küssen. Sollte er seinem Gefühl nachgeben? Die Sekunden wurden zu kleinen Ewigkeiten.
    Einen Moment später löste sich Amy von ihm, senkte den Kopf und wischte mit dem Ärmel über ihre Augen.
    »Danke«, sagte sie. »Danke, dass ich mich mal ausheulen durfte.« Sie zog ein Tuch aus ihrer Hose und schneuzte hinein.
    »Ist schon okay«, erwiderte er unbeholfen.
    »Weißt du, als Teamleiterin erwartet alle Welt von mir, dass ich stark und überlegen bin. Das ist nicht immer leicht. Manchmal möchte ich einfach nur dasitzen und heulen.«
    »Ich werde es niemandem erzählen, versprochen.« Ihm ging durch den Kopf, was wohl geschehen wäre, wenn er sie doch geküsst hätte. Hätte sie ihn geohrfeigt oder würde sie jetzt in seinen Armen liegen.
Hör auf,
ermahnte er sich. Solche Gedanken führen zu nichts.
    »Wenn du möchtest, übernehme ich für eine Weile mal deine Stelle«, sagte er. »Zumindest so lange, bis wir auf die anderen treffen.«
    Amy putzte sich noch einmal lautstark die Nase, dann steckte sie das Taschentuch weg. »Einverstanden«, sagte sie. »Ich glaube, es würde mir ganz guttun.«
    »Fein«, sagte Ray. »Dann lass uns zurückgehen. Ich bin gespannt, was die anderen zu berichten haben.«

40
    D er Wind der Rotoren drückte das Gras in Wirbeln zu Boden. Stewart Parker beobachtete besorgt, wie der Abstand zwischen dem Hinterrad der Hind und der Abbruchkante immer schmaler wurde. Er konnte nur beten, dass die Landung des Hubschraubers klappte, sonst würden sie ein paar höchst ungemütliche Sekunden erleben. Die Lichtung

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