Korrupt (German Edition)
habe der englische Kollege gemeint, könne man in das Reich der Fabel verweisen. Da hatten sie schon einiges intus gehabt.
«Um das mal zusammenzufassen», fuhr Annie fort. «Falls bei den ermordeten Prostituierten Blut oder Sperma sichergestellt worden wäre und dir die Blut- oder Spermaprobe eines Verdächtigen vorläge, könntest du mit einem solchen Test feststellen, ob er sich in der Nähe des Opfers befunden hat?»
«Ja. Aber bei den toten Prostituierten, die du meinst, gibt es ein Problem.»
«Und zwar welches?»
«Sie waren vollkommen spurenfrei, was nur zwei Schlüsse zulässt: Entweder haben wir es mit einem kaltblütigen Mörder zu tun, der es nicht eilig hatte, die Leiche loszuwerden, oder der Mörder hat sich von jemandem helfen lassen, der genau weiß, wonach wir suchen.»
«Verdammt», sagte Annie.
«Es gibt allerdings eine Ausnahme», meinte Cratz.
«Ja?»
«Diese Information stammt nicht von mir.»
«Du kannst dich auf mich verlassen, das weißt du doch.»
«Ich würde das auch niemand anders anvertrauen», erwiderte Cratz zögernd. «Ich weiß eigentlich gar nicht, warum ich mich auf so etwas einlasse, schließlich darf ich dich auch nie einladen.»
«Du weißt doch, dass ich verheiratet bin. Entweder du erzählst es mir aus alter Freundschaft, oder du lässt es», entgegnete Annie.
«Bei einem Opfer lag ein Kondom im Magen», sagte Cratz rasch, damit sie nicht auflegte. «Das Mädchen, das in Rosersberg gefunden wurde, hatte ein Kondom im Magen.»
«Und wie ist das dort hingeraten?», wollte Annie wissen.
«Lass deiner Phantasie freien Lauf», antwortete Cratz und hüstelte. «Nun, lass mich eine Hypothese aufstellen. Bei der jungen Frau handelt es sich um eine Prostituierte. Sie befriedigt einen Freier, der ein Kondom benutzt, mit dem Mund. Er verwendet das Kondom entweder, um sich vor Krankheiten zu schützen oder um keine Spuren zu hinterlassen. Wie auch immer, das Kondom lag im Magen, und was wichtiger war: Es war benutzt.»
«Wenn euch also biologisches Material eines Mannes vorläge, könntet ihr testen, ob er es war …» Sie verstummte.
«Ich wusste gar nicht, dass du so prüde bist, Annie.» Cratz lachte. «Falls der Schluss deines Satzes lauten sollte, der das Kondom getragen hat, dann lautet die Antwort ja.»
«Was fehlt dir also, um diesen Test durchzuführen?»
«Das ist doch wohl klar: DNA -Material dieses Mannes.»
4
Gewöhnlich begab sich Jan Wikholm nur freitags in den Presseclub, aber jetzt saß er bereits mit dem zweiten leeren Glas vor sich dort. Sein Blick schweifte über die Gemälde bedeutender Zeitungsleute, die er bewunderte. Pioniere und legendäre Gestalten aus allen Epochen. Er hatte sich stets ihres Erbes würdig erachtet. Bislang zumindest. Noch nie hatte er so sehr um seinen Job gebangt, dass er jemand anders im Stich gelassen hatte. Er bestellte noch ein Bier, aber das würde auch nichts helfen. Nicht einmal ein richtiges Besäufnis würde seinen Schädel durchputzen. Auf der Erde verlief eine Trennlinie. Er stand auf der falschen Seite, und es gab keinen Weg zurück.
Der Tod der schwedischen Unschuld von Annie Lander
Das Königreich Schweden ist ein sicheres Land, ein unschuldiges Land, ein Land der Gleichheit, in dem Straftäter in fairen Gerichtsverhandlungen gerechte Urteile erhalten. Oder etwa nicht? Glauben wir wirklich diese offensichtliche Lüge? Oder schließen wir alle unsere Augen und drücken ganz fest die Daumen, in der Hoffnung, dass dieser nationale Bluff nicht auffliegt? Wenn uns Nachrichten über Ungerechtigkeiten außerhalb unserer Grenzen erreichen, über Schauprozesse und einflussreiche Persönlichkeiten, die trotz erdrückender Beweislast freigesprochen werden, dann heben wir gerne einen mahnenden Zeigefinger, schütteln angesichts der Macht des Geldes und des Einflusses sofort den Kopf und bedauern die Unfähigkeit der Umwelt, sich die Gleichheit aller Menschen ins Gedächtnis zu rufen. Dann klopfen wir uns gegenseitig auf die Schulter, weil wir Schweden so viel klarer sehen. Ich frage mich: Wann wachen wir auf? Wann sehen wir ein, wie es um uns selbst steht?
Ich zweifle an der schwedischen Unschuld. Ich glaube, dass die schwedische Oberschicht von den Regeln und Konventionen der anderen ausgenommen ist. Man könnte diesen Umstand mit diplomatischer Immunität vergleichen. Die auserwählten Familien, es handelt sich um weniger als ein Dutzend, könnten ungeschoren Taten begehen, die im Normalfall Anklagen und schwere
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