Korrupt (German Edition)
verpfiffen.
«Ich bin allein», sagte Dick, als er Sissis nervösen Blick bemerkte. «Vor mir brauchst du also keine Angst zu haben.» Er legte seine Hand auf Sissis Wange, fasste ihr Kinn und drehte ihren Kopf, um einen Blick auf die Blutergüsse zu werfen.
«Lass mich in Ruhe», sagte sie und versuchte, seine Hand abzuschütteln.
Er rümpfte die Nase und schob ihr Halstuch beiseite, sodass die Würgemale zum Vorschein kamen. «Pfui Teufel, Sissi, wie siehst du denn aus», fluchte er.
«Was willst du?»
«Ich will dich wieder auf der Straße sehen. Die Stammkunden fragen schon nach dir.»
«Ich bin clean und versuche, mein Leben in den Griff zu kriegen.»
«Und? Klappt’s?» Er beugte sich vor. «Wie ist es, wenn die Dämonen kommen? Und die Wahnvorstellungen? Wenn du nach einem Rasiermesser suchst, um dir die Arme aufzuritzen, damit dich der Schmerz vom Nachdenken abhält?»
«Bitte, lass mich in Frieden.» Sie schwitzte nachts so sehr, dass die Laken durchnässt waren und stanken. Sie hatte sich übergeben, bis sie nur noch Galle gespuckt hatte.
«Immer mit der Ruhe», sagte Dick und hob die Hände. «Ich wollte mich nur davon überzeugen, dass du okay bist.» Er strich ihr eine Haarsträhne aus der Stirn und legte einen Finger auf ihr blaues Auge. «Man erzählt sich so einiges. Manche denken, du bist tot.»
«Als ob dich das kümmern würde.»
«Sag so was nicht. Du bedeutest mir was.» Er schaute sich um. «So viel, dass ich dir sogar ein Geschenk mitgebracht habe.» Er hielt ein Tütchen Heroin in die Höhe.
Sie schaute zu Boden. «Ich bin clean, habe ich doch gesagt.»
Er nickte und schwenkte das Tütchen in der Luft. «Wie heißt der Typ, bei dem du wohnst? Ist es seinetwegen?» Er sah sie an. «Vielleicht hast du dich verliebt, Sissi?»
Sie antwortete nicht.
«Sag schon!» Er lachte. «Ich werde ihn nicht fertigmachen, wenn du das denkst. Wie heißt er denn? Sag bloß, du wohnst bei diesem ekligen Klaviertypen.» Er lachte höhnisch.
«Tomas», sagte sie und bereute es sofort.
«Tomas», wiederholte Dick und wurde ernst. «Irgendwann hat er es satt, dass eine lädierte Nutte auf seiner Couch wohnt. Wenn dieser Tag kommt, dann denk daran, wo du hingehörst, wo die Leute sind, die sich wirklich um dich kümmern.»
Er schob ihr das Tütchen in die Jackentasche. «Wirf es weg, wenn du es nicht willst. Du weißt, wo ich bin, wenn du einen starken Arm brauchst.»
Sie drehte sich abrupt um und steuerte auf die Wohnung zu.
«Hast du übrigens gehört, was mit deiner Journalistenfreundin passiert ist?», rief er ihr hinterher. «Dem Mädel mit dem dicken Bauch?»
Sissi hielt inne und drehte sich um.
«Annie?»
Dick nickte. «Sie ist verschwunden. Die Bullen glauben, dass ihr Typ sie totgeschlagen hat. Schlimm, was? Eben noch hier und dann plötzlich weg.»
Sissi entfernte sich mit raschen Schritten. Ihr stiegen Tränen in die Augen. Sie schob eine Hand in die Tasche und befühlte das Tütchen. Sie dachte an Annie. Am liebsten wäre sie zu Dick und in das einzige Leben zurückgekehrt, das sie kannte, und am liebsten hätte sie so getan, als sei nichts passiert und als würde nichts passieren. An der Haustür drehte sie sich um. Dick stand immer noch da. Er winkte. Sie ging ins Haus, ohne sein Winken zu erwidern. Im Treppenhaus blieb sie stehen und begann zu weinen. Sie brauchte Geld für ein Ticket in die Ferne, und zwar schnellstmöglich.
3
Munkenberg machte Überstunden und war darüber, wie immer, stolz auf sich. Seine Mutter teilte seine Begeisterung allerdings nicht. Sie hielt nichts von seiner Berufswahl. Sie wünschte, er wäre Lehrer geworden.
«Heutzutage», hatte sie bei seinem letzten Besuch auf der Onkologischen gesagt, «gehen alle Familien auseinander, und die Kinder sind die Leidtragenden. Bald gibt es keine richtigen Familien mehr, alles nur noch Patchwork. Und in der U-Bahn redet niemand mehr Schwedisch, da traue ich mich gar nicht mehr hin, wenn ich hier wieder rauskomme.»
«Warum solltest du dich nicht mehr in die U-Bahn trauen, Mama?»
«Es ist ja nicht so, dass ich diese Leute gering schätze, aber sie sind eben nicht von hier.»
«Welche Leute?»
Sie beugte sich vor. «
Die
. Ich glaube, die meisten sind Iraner. Du weißt schon, Hasse in der Wohnung unter mir ist Polizist in Huddinge. Die haben es nicht leicht mit diesen Iranern. Asylpolitik, Rauschgift, andauernd Ärger, und Verstärkung kriegen sie auch nicht. Aber ständig wird reorganisiert, sagt er. Und er
Weitere Kostenlose Bücher