Korrupt (German Edition)
ermordet wurde. Es besteht kein Grund zu der Annahme, dass Annie Lander das nicht gewusst hat, denn es lässt sich in allen Unterlagen nachlesen. Schließlich ist sie Journalistin und weiß, wie man an Informationen rankommt. Sie hat sicher alles über ihre Herkunft herausfinden wollen. Vielleicht hat sie das ihrem Mann verschwiegen. Und er hat mit anderen Frauen rumgemacht.»
«Die Wege des Herrn sind unergründlich», stellte Orha lächelnd fest. «Was habt ihr nach der Vernehmung mit dem Burschen gemacht?»
«Wir haben ihn laufenlassen. Ich habe mit dem Staatsanwalt gesprochen. Wir haben nicht genug gegen ihn in der Hand. Gustafsson hält ihn für unschuldig, für einen harmlosen Kerl, einen Looser.»
«Man sollte ein Buch nicht nach dem Umschlag beurteilen», meinte Theorin. «Nicht alle Mörder haben einen Mörderblick.»
«Nimm dir zu Herzen, was Theorin sagt, Munkenberg. Er hat von uns allen die meisten Schurken hinter Schloss und Riegel gebracht. Aber jetzt will er sich zur Ruhe setzen», meinte Orha spöttisch, «und als Berater im privaten Sektor, wo das ganze Geld ist, tätig werden.»
«Davon habe ich gehört.» Munkenberg nickte.
«Glaub bloß nicht alles, was du hörst.» Theorin seufzte. «Aber lass dir gesagt sein, dass solchen Leuten gegenüber Misstrauen angezeigt ist. Da ist etwas Paranoia nicht fehl am Platze.»
Munkenberg nickte erneut. «Ich schreibe ihn keineswegs ab. Ich will ihn überwachen lassen.»
«Gute Arbeit, Munkenberg. Du hast den richtigen Riecher.»
«Danke.»
«Abartig», sagte Orha und legte eine Kunstpause ein. «Die eigene Frau umzubringen, während sie das erste Kind erwartet. Was geschieht eigentlich mit diesem Land? Ohne wie ein mürrischer alter Mann klingen zu wollen, muss ich dir sagen, Munkenberg, und darin stimmt mir Göran sicherlich zu, dass die Verbrechen in diesem Land mit jedem Jahr perverser werden. Als ich so viele Dienstjahre hinter mir hatte wie du, wären Ärzte, die tote Prostituierte zerstückelten, oder Alkoholiker, die Ministerpräsidenten erschießen, undenkbar gewesen. Oder Ehemänner, die ihre schwangeren Frauen umbringen.» Er schüttelte den Kopf. «Das sind Zeiten!» Dann setzte er sich hastig auf. «Und das ist, was dich erwartet, Munkenberg, wenn wir zu Hause sitzen und unsere Rente genießen.»
«Ich werde mein Bestes tun.» Munkenberg lächelte.
«Hast du Familie, Munk?»
Er sah Orha fragend an. «Nur meine Mutter.»
«Hier in der Stadt?»
«Ich wohne bei ihr.» Munkenberg starrte zu Boden. «Nur vorübergehend. Sie ist krank, und ich helfe ihr.»
«Was fehlt ihr denn, wenn ich fragen darf?»
«Sie hat Krebs», antwortete Munkenberg. «Im Augenblick ist sie im Södersjukhuset auf der Onkologischen, aber sie kommt bald wieder nach Hause. Sowie sie wieder auf den Beinen ist, suche ich mir was Eigenes.»
«Ich halte ihr die Daumen, Munk. Und dir, dass du den Fall mit der Journalistin löst. Nicht leicht, aber wenn du es schaffst, gebe ich dir einen Whisky aus.»
Theorin schmunzelte.
Munkenberg strahlte.
2
Max hatte sich die ganze Nacht hin und her gewälzt. Es regnete. Er lauschte den Regentropfen, die gegen die Fensterscheibe prasselten und die Musik aus der Stereoanlage mit arhythmischer Schlagzeugbegleitung unterlegten. Er schlafwandelte, wachte im Wohnzimmer wieder auf, lief ins Schlafzimmer zurück, um nachzusehen, ob alles nur ein Traum gewesen war. Dann weinte er, als er das leere Bett sah, konnte nicht wieder einschlafen und legte sich auf die Couch. Er horchte auf den Wind. In der Dämmerung hörte er das Müllauto und den Zeitungsboten. Irgendwann schlief er ein, und als er wieder aufwachte, war Vormittag.
Diejenigen, die zur Arbeit mussten, waren bereits gegangen. Wasserspülungen waren betätigt worden. Kaffeemaschinen hatten gegurgelt. Kinder hatten geschrien und Paare gestritten. Jetzt war es still im Haus. Nur draußen war noch Lärm.
Max machte sich zwei Tassen starken Kaffee. Seit Annie verschwunden war, hatte er nicht mehr eingekauft. Alles, was es im Haus an Vorräten gab, hatte sie eingekauft. Sie hatte diese Dinge berührt und sich Gedanken gemacht. Bald würden auch jene verschwunden sein. Sie kaufte ein, er putzte. Er machte die Wäsche, sie bügelte. Er würde von nun an hungrig und mit knittrigen Hemden durchs Leben gehen.
Die Kälte schlug ihm entgegen, als er auf die Straße trat. Er atmete tief ein und spürte die kalte Luft in der Lunge. Sein Blut zirkulierte wie Quecksilber in seinen Adern.
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