Korrupt (German Edition)
Er war hellwach, aber auf eine Art, als sei er gerade von einem Messerstich in den Bauch geweckt worden. Er knöpfte auf dem Weg zur U-Bahn seine Jacke zu und wickelte sich den Schal fester um den Hals. Er hatte keine Ahnung, wann die Prostituierten mit ihrer Arbeit begannen, würde aber, wenn nötig, warten.
Fünf Stunden später war er vollkommen durchgefroren. Die Wangen brannten, seine Strümpfe fühlten sich klamm an. Seine Kleider stanken nach den Urinpfützen, durch die er gestiefelt war. Die Stimmen der Prostituierten hatten sich wie eine zweite Haut auf ihm abgelagert. Er spürte ihren Hass wie einen sauren Geschmack im Mund. Ein Typ mit einer großen Entzündung im Gesicht hatte ihn für einen Polizisten in Zivil gehalten. Eine Frau hatte geschrien, er sei ein Vergewaltiger, und war mit einem Regenschirm auf ihn losgegangen. Wenn er da nicht zufällig C.s Bruder Farao getroffen hätte, wäre er, vermutlich noch bevor er Sonja ausfindig machen konnte, im St.-Göran-Krankenhaus gelandet. Farao versicherte einem stämmigen Mann namens Teddy, der sich in Gesellschaft der Frau mit dem Regenschirm befand, Max sei einer von den Good Guys.
Er wollte gerade unverrichteter Dinge den Heimweg antreten, als er eine Frau in blonder Perücke entdeckte, die wusste, wo sich Sonja aufhielt, und sich bereit erklärte, ihn für etwas Geld dorthin zu bringen.
«Du musst mir was spendieren», meinte Sonja. «Es ist schlecht fürs Geschäft, wenn ich hier zu lange mit dir rumsitze, und das gibt dann Ärger. Ich mag Annie, aber du weißt ja, wie’s ist.» Sie rieb Daumen und Zeigefinger gegeneinander. «Du musst mir also was ausgeben.» Sie erschauerte. «Vorzugsweise ein Glas Bier oder zwei.»
Sonja trank einen großen Schluck und zündete sich eine Zigarette an. Sie hielt Max die Schachtel hin, aber er schüttelte den Kopf. «Selber schuld», meinte Sonja und inhalierte tief. Sie blies den Rauch über den Tisch. Max leerte sein Glas und bestellte die nächste Runde.
«Die Polizei folgt der falschen Spur», begann er, nachdem der Kellner wieder gegangen war. «Die glauben, ich hätte etwas mit Annies Verschwinden zu tun, was aber nicht stimmt. Ich habe also beschlossen, sie selbst ausfindig zu machen. Du bist eine der Personen, mit denen sie geredet hat. Sie hat alles Erdenkliche getan, um Frauen in deiner Situation zu helfen. Jetzt ist sie weg, und ich bin auf deine Hilfe angewiesen.»
«Vielleicht hast du das ja nicht mitgekriegt, aber für meine Freundin, die bereit war, mit Annie zu reden, ist es echt mies gelaufen.»
«Ich weiß nichts über sie und erwarte auch gar nicht, dass du eine Aussage machst. Ich muss einfach nur wissen, was du Annie erzählt hast. Um die Zusammenhänge zu begreifen.»
«Genau das hat Annie auch gesagt. Dass uns nichts passiert.» Sie fuhr sich mit der Zunge über ihre trockenen Lippen und zeigte dabei ihre schadhaften Zähne. «Ich vertraue niemandem. Damit dir das klar ist. Schon allein, dass ich mit dir hier sitze, kann bedeuten, dass ich etwas ausplaudere. Dass du ein Bulle bist.»
«Ich verstehe. Aber wenn ich mich nicht irre, hat sich Annie nach den Freiern erkundigt. Ich würde gerne wissen, wer sie sind, wie sie heißen und wo ich sie finden kann.»
Sonja sah ihn an und trank ihr Bier.
«Bitte.»
Sonja stand hastig auf und verschwand mit ihrer Handtasche auf der Toilette. Zehn Minuten später kehrte sie zurück und bat um ein weiteres Bier. Max bestellte noch eine Runde und dazu zwei Whisky.
«Ich erzähle fünf Minuten lang und trinke dabei mein Bier. Dann gehe ich und will dich nie wieder sehen. Kapiert?»
Er nickte.
«Ich habe deine Antwort nicht gehört!»
«Ja, ich habe kapiert.»
Sie beugte sich vor. «Ich bin nun schon eine Weile nicht mehr dabei. Als ich Drogenprobleme hatte, wollten sie mich nicht mehr haben. Aber seit den Siebzigern sind es dieselben Leute. Mal kommt ein Neuer dazu, und ein anderer scheidet aus Altersgründen aus und stirbt, aber sonst sind es dieselben. Die Reichen, denen niemand etwas anhaben kann, falls du verstehst, was ich meine. Polizeichefs und Richter und Minister und alle möglichen anderen auch. Und wenn sich eine aufgelöste Leidensschwester über solche Leute beklagt, hört ihr kein Schwein zu. So ist es einfach.» Sie zündete sich eine Zigarette an und rauchte mit zusammengepressten Lippen. «Ich will nicht das Risiko eingehen, aussagen zu müssen und alle meine Kunden zu verlieren, weil die glauben, dass ich jedem ersten Besten
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