Korrupt (German Edition)
je. Selbst das Pinkeln schmerzte. Sie hatten bis in die Morgenstunden gesoffen, aber es lag nicht nur daran. Er hatte in letzter Zeit einfach viel um die Ohren gehabt und daher am Vorabend ungewöhnlich viel getrunken. Weil er das brauchte. Er hatte einen pelzigen Geschmack im Mund, und aus seinem Halsausschnitt drang der Geruch eines Körpers, der ohne den Umweg über eine Dusche aus einem fremden Bett nach Hause zurückgekehrt war. Ein verdammt guter Abend, der in einen Tag danach überging, an dem er sich zwei Tage zurück wünschte. Er fühlte sich immer fett, wenn er einen Kater hatte. Seltsamerweise dachte er dann an früher. Würde er immer noch so viel schaffen wie damals? Würde er vierundzwanzig Stunden in der Stuttgarter Kälte ausharren und den Albaner erschießen können, der die Nationale Bewegung zur Befreiung des Kosovo gegründet hatte? Damals war er noch geschmeidig wie ein Tiger gewesen. Und heute? Aber das waren sinnlose Gedanken. Der Albaner war tot. Er selbst hatte einen Kater. Aber seine Gedanken ließen ihm keine Ruhe. Tränen, Schussverletzungen, aufgeplatzte Haut, splitternde Schädelknochen, vergebliches Flehen. Er hatte einfach seine Aufträge erfüllt. Einige hatten ihn verflucht, die meisten hatten jedoch um ihr Leben gefleht. «Ist dir klar, worauf du dich einlässt?», hatte er Ranko vor vielen Jahren gefragt, als dieser ihn gebeten hatte, für ihn arbeiten zu dürfen. «Alle, die du umbringst, verfolgen dich. Sieh mich an. Eine ganze Prozession ist hinter mir her. Lauter Gespenster mit Frisuren aus den Siebzigern.»
Das Telefon klingelte.
Er ging in die Diele und hob ab.
«Nichts», sagte Ranko. «Er ist immer noch in seiner Wohnung. Wie lange soll ich warten?»
«Bis er rauskommt. Folge ihm und ruf an, wenn dir was komisch vorkommt.»
«Weißt du, warum wir ihn überwachen? Wer ist er?»
«Ein Idiot, der nicht selbst auf sich aufpassen kann. Eine Gefälligkeit für Henrik Olsson. Jetzt steht er in unserer Schuld. So musst du das sehen.»
«Das scheint der langweiligste Dienst zu werden, den ich jemals jemandem erwiesen habe.»
Vitomir dachte: Du bist ganz unten in der Hierarchie, Ranko. Er sagte: «Jammer nicht. Man weiß nie, was irgendwann mal wichtig sein kann.»
Echos
1
«Wer spricht da?»
«Max Lander, und wer sind Sie?»
«Mein Name ist Sture Hult», sagte die Stimme am anderen Ende. «Wissen Sie, wer ich bin?»
«Ja», erwiderte Max, ohne zu wissen, ob er wütend werden oder Angst bekommen sollte. «Die Polizei hat von Ihnen gesprochen, aber behauptet, dass Sie nicht existieren.»
«Es gibt mich, und ich weiß auch, dass Sie in Södermalm wohnen. Können wir uns in einer Viertelstunde auf dem Medborgarplatsen treffen? Vor dem Hotel Malmen?»
«Ja», antwortete Max. «Wie erkenne ich Sie?»
«Ich finde Sie schon», erwiderte Sture Hult und legte auf.
Sture Hult streckte die Hand aus. «Max?»
«Ja.»
«Hallo», sagte der andere und schüttelte Max kräftig die Hand. «Ich bin Sture Hult.» Er war klein, hatte einen gepflegten weißen Bart und einen wachen Blick. «Das ist mein richtiger Name, ehrlich. Ich könnte nie jemanden belügen, dem ich gleichzeitig die Hand schüttele», sagte er lächelnd. «Die Polizei, das sind richtige Schwachköpfe, ich habe aus guten Gründen nach meiner Heirat den Nachnamen meiner Frau, Ericsson, angenommen. Nach ihrem Tod habe ich meinen Namen wieder angenommen, aber das muss die Polizei übersehen haben. Egal. Das hätte ich Annie alles bei unserem Treffen erzählt.»
Max musste einen Augenblick gegen die Tränen ankämpfen. Sie war weg, so unglaublich weit weg.
«Ich würde gern einen Kaffee trinken», meinte Sture. «Können wir in ein Café gehen?»
«Natürlich», sagte Max. «Es gibt eins hier um die Ecke.»
Ihr gemeinsames Viertel. Max fürchtete sich vor der Zeit, wenn es nur noch sein Viertel sein würde.
Als Kaffee und Zimtschnecken auf dem Tisch standen, begann Sture zu erzählen, wie er Annies Artikel «Ein Plädoyer für die Offenheit» in der Zeitung entdeckt hatte und ihm klargeworden war, dass sie Karins Tochter sein musste. Das Mädchen, das in einer Pflegefamilie aufgewachsen war. Es war ein unglaublicher Zufall, dass er den Artikel überhaupt gesehen hatte. Ohne eine Sekunde zu zögern, hatte er sie angerufen. Annie habe viele Fragen über ihre Mutter gestellt, und er habe ihr erzählt, dass er zu wissen glaubte, wer ihre Mutter ermordet habe.
«Ermordet? Ich dachte, sie hätte sich
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