Korsar und Kavalier
hatte sie schon Mühe, sich zu erinnern, wer sie war, wer er war.
Nicht, dass sie das davon abgehalten hätte, ihn zu begehren, das nicht. Aber es war wichtig, dass sie sich beide bewusst darüber waren, welche Art von Beziehung sie führten. Sie räusperte sich. „Ich glaube, uns beiden muss klar sein, dass diese ... diese Tändelei nicht mehr ist als eben das.“ Obwohl ihr Gesicht vor Verlegenheit brannte, gelang es ihr, ihm ruhig in die Augen zu sehen. „Verstehst du?“
Um seine Lippen spielte ein amüsiertes Lächeln. „Du bist mir ein Rätsel, meine liebreizende Prudence. Ich dachte, Ladies ...“
„Ich bin keine Lady.“ Seit sie London verlassen hatte, war Prudence zum ersten Mal von Herzen froh über diesen Umstand. Und gemäß dem Diktat der vornehmen Gesellschaft stimmte das ja auch.
Er runzelte die Stirn. „Natürlich bist du eine Lady Eine der feinsten, die mir je begegnet sind.“ Er streckte die Hand aus, griff nach einer Locke von ihr und hob sie an die Lippen. „Aber du bist auch eine Frau, und darin liegt der Unterschied zu all den quäkenden Katzen, vor denen die Gesellschaft ihre Kratzfüße macht. Die sind doch nicht echt, wollen es auch gar nicht sein. “
Ihr Magen brannte, als er sich mit ihrer Locke über die Wange strich und ihr dabei tief in die Augen sah. „Prudence, ich will dich.“
Die Worte schwappten über sie. Seine Stimme war dunkel und zog sie zu ihm. Sie zitterte. Heiße Leidenschaft überrollte sie, von oben, von unten, von außen, von innen. Ihr wurden die Knie schwach. Sie wollte ihn auch. Und warum auch nicht? Sie war schließlich keine unberührte Unschuld mehr. Sie war berührt worden. Von Phillip.
Früher hätte der Gedanke an Phillip sie vielleicht an dieser Stelle innehalten lassen, und sie hätte sich schuldig und allein gefühlt. Doch nun feuerte sie der Gedanke nur noch an. Phillip hätte nicht gewollt, dass sie zu leben aufhörte, nur weil er gestorben war.
Trotzdem fand sie sich nun vor eine ziemlich komplexe Wahl gestellt. Anders als in ihrer Beziehung zu Phillip hatten sie und Tristan keine gemeinsame Zukunft. So groß die körperliche Anziehung auch sein mochte, es konnte nicht sein. Er war ein Earl, dem die Treuhänder zur Auflage gemacht hatten, dass er sich nahtlos in die vornehme Gesellschaft einfügte. Von ihr konnte man Letzteres nun wahrlich nicht behaupten. Die Treuhänder würden sie niemals billigen, zumal sie ja auch bestens informiert waren über ihre öffentliche Schande.
Was blieb ihr dann? Im Lauf der letzten Wochen hatte sie die Matrosen in Tristans Haushalt recht gut kennengelernt, und sie waren ihr inzwischen ebenfalls ans Herz gewachsen. Da war zum Beispiel Toggle, der ein bisschen durcheinander war, aber immer eine Seele von Mensch. Dann der einarmige Gibbons; sie machte sich Sorgen um ihn, weil er so mutlos war. Adkins mit den vielen Narben, der so gern lachte. Und Stevens, bei dem sie sich immer willkommen fühlte. Sie alle waren ihr wichtig geworden. Wenn sie Tristan weiter ermutigte, könnte das seine Chancen auf das Vermögen schmälern. Sie konnte es nicht verantworten, dass die gebeutelten Männer noch mehr Leid erdulden mussten.
Ihr blieb jetzt nichts anderes übrig, als sich einzugestehen, dass die Anziehung, welche dieser wunderbare, intelli-gente Mann in ihr weckte, rein körperlicher Natur war. Ein kurzfristiger Genuss, mehr nicht. Und sobald die Treuhänder kamen, wäre es vorbei, ebenso plötzlich, wie es begonnen hatte.
Ihr tat das Herz weh, als sie ihn im flackernden Licht der Kutschlampe betrachtete, seine Augen bewunderte, seine schöne Nase, das energische Kinn.
Er hob die Hand an die Wange. „Was ist los? Du siehst aus, als hättest du eine furchtbare Entdeckung gemacht.“
Sie lächelte freudlos. Die Kutsche schwankte ein wenig, weil sie um eine Kurve der engen Straße bogen. „Vielleicht sind es eher die Konsequenzen, die mich schrecken.“ Tristan nahm ihre Hand und führte sie an die Lippen. „Prudence, ich habe mich heute Abend wie ein Narr aufgeführt. Kannst du mir verzeihen? Ich kann dir nicht versprechen, dass ich nie mehr eifersüchtig sein werde, aber wenn ich etwas unternehme, dann zu einer angemesseneren Zeit und an einem angemesseneren Ort.“ Sein Atem blies warm auf ihren Handrücken. „Ich weiß, dass ich dich verärgert habe. Lass es mich wiedergutmachen.“
„Vielleicht“, erwiderte sie und lächelte selbst ein wenig, als sie merkte, wie heiser ihre Stimme klang. „Aber nur zu
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