Korsar und Kavalier
Ein Gespann von sechs Pferden mühte sich keuchend ab, das schwere Gefährt über die kurvenreiche Straße nach oben zu ziehen. Es war eine erstklassige Equipage, auf der sich Taschen und Kästen türmten.
Soeben kämpfte sich die schwerfällige Kutsche die Straße am Felsabhang empor. Während er sich noch fragte, wem sie wohl gehören mochte, leuchtete das Wappen am Wagenschlag im fahlen Licht auf, das durch den bewölkten Himmel drang.
Tristans Herz schien zu erstarren. Er kannte nur einen Menschen, der so herrliche Kutschen und Pferde besaß. Nur einen Menschen, der unangemeldet auftauchen und den gesamten Haushalt mitbringen würde, damit all seine Bedürfnisse befriedigt werden konnten. Aber dieser Mensch wäre der letzte, der Tristan aufsuchen würde.
Oder? Mit einem dumpfen Gefühl in der Magengrube richtete Tristan sich auf und kehrte ins Cottage zurück. „Wer es auch sein mag, er wird mindestens noch eine Stunde brauchen, ehe er bei uns aufläuft. Da bleibt uns genug Zeit, uns bei einem herzhaften Imbiss ein wenig aufzuwärmen.“ Stevens grinste und ließ seine Zahnlücken aufleuchten. „Ein Glas vom besten Hausgebrauten?“
„Oder auch zwei.“ Tristan beschleunigte seine Schritte, so gut es ihm mit seiner Beinverletzung möglich war. Der Wind fuhr unter die Schulterkragen seines Mantels. Die Kälte drang ihm allmählich ins Bein und verstärkte seine Schmerzen. Wer ihn auch besuchte, er würde auf den Empfang stoßen, den er allen bereitete - keinen.
Außer den Leuten, welche die See bereits bei ihm ausgespuckt hatte, brauchte er niemanden mehr. Seine Leute verstand er. Er konnte ihnen auch helfen. Was die anderen betraf ... er wollte einfach in Ruhe gelassen werden.
Er konnte nur hoffen, dass der Insasse der Kutsche nicht von ihm erwartete, dass man ihn willkommen hieß, denn das würde nicht geschehen, ob er nun ein Earl war oder nicht. Tristan zumindest würde den Mistkerl nicht begrüßen. Nie im Leben.
3. KAPITEL
Es obliegt dem Butler, dass sein Dienstherr der Welt ein stets makelloses und stilvolles Bild präsentiert. Ein guter Butler ruht und rastet nicht, ehe der letzte Löffel an seinem Platz liegt, die Tischwäsche ordentlich gestärkt und gebügelt ist, die Böden glänzen und der Brandy in Karaffen gefüllt ist. Unermüdlichkeit wird stets den Sieg davontragen.
Leitfaden für den vollkommenen Butler und Kammerherrn von Richard Robert Reeves
Prudence marschierte nach Hause, wobei ihre schweren Stiefel laut auf dem steinübersäten Weg klapperten. Zum Henker mit dem Mann! Er war unmöglich, unverschämt, arrogant, lästig und noch Schlimmeres. Und dabei hatte sie ihn doch nur gebeten, sein blödes Schaf von ihrem Land fernzuhalten. Warum konnte er ihr diese kleine Bitte nicht einfach erfüllen?
Schlimmer noch, ihn schien ihre Forderung überhaupt nicht zu beeindrucken. Vielleicht stimmte ja tatsächlich, was er behauptete, und Schafe mussten nicht eingepfercht werden. Was natürlich das Dümmste wäre, was sie je gehört hatte. Allerdings hatte sie durch das Leben auf dem Lande schon einiges gelernt, nicht zuletzt, wie einfallslos manche Gesetze sein konnten.
Sie bog von der Straße auf den Gartenpfad ab. In der frischen Luft lag der würzige Duft von Minze. Der Wind fuhr durch die vertrockneten braunen Blätter.
Prudence ging zur Eingangstür. Sie war rot gestrichen, spiegelte ihre momentane Gefühlslage also perfekt wider. Mit finsterer Miene ergriff sie den kalten Messingknauf und drehte ihn energisch. Knarrend ging die Tür auf. Als sie eintrat, riss ihr der Wind die Tür aus der Hand und warf sie hinter ihr ins Schloss. Der Lärm hallte im ganzen Haus wider.
„Prudence?“ Ihre Mutter kam aus dem Salon geeilt, mit gerunzelter Stirn und besorgtem Blick. Mit ihren zweiundfünfzig Jahren war sie immer noch eine attraktive Frau. Sie hatte sanfte grüne Augen, und ihr weiches Haar war nur an den Schläfen grau meliert. „Prudence! Warum hast du die Tür zugeschlagen?“
Prudence band ihren Schutenhut auf und legte ihn auf dem Tischchen unter dem Haken ab, an dem sie ihren Schal aufhängte. „Der Wind hat mir die Tür aus der Hand gerissen. Hoffentlich habe ich dich nicht erschreckt.“
Ihre Mutter lächelte und strich sich den Rock glatt. Die Anspannung war aus ihrem Gesicht gewichen. „Aber nein! Ich dachte nur, dass du dich vielleicht über irgendetwas aufgeregt hast.“
„Ich? Über etwas aufgeregt? Ich bitte dich!“ Nicht, dass ihr nicht danach gewesen wäre, die
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