Korsar und Kavalier
Manche.“
„Klettern unsere Schafe über den Zaun, um die Kräuter hier zu fressen?“
„Natürlich nicht, Käpt’n. Ich kann mich an keinen einzigen Fall erinnern.“
„Hmm. “ Tristan bemerkte, dass der Witwe die Röte ins Gesicht stieg. Vielleicht machte es ihm deswegen so viel Freude, sie aufzuziehen, weil sie so überaus ordentlich und makellos aussah, ihr Haar so streng frisiert und ihr Mantel bis zum Hals zugeknöpft war. Und weil sie die Lippen so entschlossen zusammenpresste, dass es schon fast eine Herausforderung war, sie zu berühren. Zu kosten. Sie zu küssen.
Er ertappte sich dabei, wie er auf ihren Mund starrte. Die Unterlippe war voller als die obere und sanft geschwungen. Er fragte sich, ob die Unterlippe wohl so sinnlich war, wie sie aussah, und was passieren würde, wenn er sie küsste und dann sanft...
Selbst erschrocken angesichts der Richtung, die seine Gedanken genommen hatten, versuchte er, sich wieder auf die augenblickliche Situation zu konzentrieren. „Mrs. Thistlewaite, Schafe springen nicht über Zäune, und sie fliegen auch nicht durch die Luft und landen inmitten eines Gartens. Ich habe auch einen Garten, und die Schafe beachten ihn nicht. Ich finde, dass Ihre Magen jeglicher Grundlage entbehren. Sie werden sich selbst um Ihr Schafproblem kümmern müssen.“
„Captain“,entgegnete Mrs.Thistlewaite frostig, „ich sehe, dass ich hier meine Zeit verschwende.“
„Sie verschwenden nicht nur Ihre Zeit, Sie machen sich auch unbeliebt. Wenn Sie nicht aufhören, mich zu belästigen, werde ich meine Hunde darauf abrichten, dass sie all die albernen Schafe in Ihren Garten hetzen, jeden Morgen.
Dann haben Sie wirklich Grund zur Klage. “
„Oh! Ich kann es nicht fassen - wie können Sie es wagen?“ Sie richtete sich kerzengerade auf. Ihre Augen funkelten. „Sie, Sir, sind kein Gentleman!“
Kein Gentleman. Die Worte zogen eine Flammenspur durch sein Herz. Sein Vater war ein Gentleman gewesen. „Ich wollte auch nie ein Gentleman sein. Jetzt nicht und auch nicht früher. Ein Gentleman ist meiner Meinung nach keine lohnende Bekanntschaft.“
„Ich nehme an, dass Sie jede Menge Gentlemen kennen.“ „Mehr, als mir angenehm ist“, fuhr er sie an. Allmählich verlor er die Beherrschung. „Aber was ist denn mit Ihnen? Wenn ich kein Gentleman bin, sind Sie dann eine Dame? Wo ist Ihr Gefühl für Schicklichkeit? Wie kommen Sie dazu, einen Junggesellen aufzusuchen, und weit und breit ist keine Anstandsdame in Sicht?“
Etwas glomm in ihren Augen auf, ein Funken ... war sie etwa gekränkt? Sofort bedauerte Tristan seine hässlichen Worte, denn er war nur auf das Wortgefecht aus, er wollte sie nicht verletzen. Doch bevor er noch etwas sagen konnte, hatte sie sich bereits abgewandt und rauschte davon. Ihre Röcke bauschten sich um ihre Knöchel, und der Wind zerrte an ihrem Haar, als sie hastig den Pfad hinunterlief, dem Tor und ihrem sicheren Heim entgegen.
Der Erste Offizier sah ihr nach. „Das ist aber mal ein temperamentvolles Weib! Stürmisch wie die See und genauso unberechenbar. “
In der Stimme des Mannes lag Bewunderung. Tristan musste einräumen, dass er den Kampfgeist der jungen Dame ebenfalls bewunderte. Und dieser Mund ... so süß gerundet, so voll und zart. Er fragte sich, wie sie wohl aussehen mochte, wenn sie endlich einmal den voluminösen Mantel ablegen würde. Wie sie sich anfühlen würde ...
Warum hatte sie nur so heftig auf seine provokanten Äußerungen reagiert? Irgendetwas hatte der Witwe und ihrem rechtschaffenen Zorn jedenfalls den Wind aus den Segeln genommen. Allerdings konnte er sich nicht erklären, was es gewesen sein mochte. Er runzelte die Stirn. Ein Rätsel. Eines, das er zu lösen gedachte.
„Käpt’n?“ Stevens beugte sich weiter über die Felsen und blickte hinab zu der Straße, die sich vom Dorf heraufwand.
„Aye?“, erwiderte Tristan abwesend, in Gedanken immer noch bei der Witwe. Welche Geheimnisse verbargen sich hinter diesen Augen?
„Sie sollten lieber mal kommen und sich das anschauen.“ Tristan seufzte und hinkte hinüber zu seinem Ersten Offizier. Unterwegs hielt er kurz inne, um die Pfeife auszuklopfen. „Was gibt es denn?“
„Da unten, Sir. Zwei Kutschen und drei Karren, voll beladen und alle unterwegs zu uns herauf.“
Tristans Stirnrunzeln vertiefte sich. Wer, zum Teufel, sollte ihn an einem solchen Tag besuchen kommen? Wer sollte ihn überhaupt derart bepackt besuchen kommen? Die erste Kutsche war riesig.
Weitere Kostenlose Bücher