Korsar und Kavalier
verwünschte die Gebeine seines Vaters. Er wandte sich vom Fenster ab. „Ich würde lieber Kohle schaufeln, als mich vor einer Meute zimperlicher Blaublütiger zu erniedrigen.“ Sie waren vom selben Schlag wie der alte Earl, der Mann, der seiner Mutter vor so vielen Jahren nicht geholfen hatte, der sie in einem feuchten, kalten Gefängnis dahinsiechen ließ. Er wusste noch, wie er vom Tod seiner Mutter erfahren hatte - zwei Jahre nachdem sie gestorben war. Die Wunde war immer noch frisch, der Schmerz noch genauso real.
Zorn überkam ihn. Er hatte schon so viel verloren. Seinen Bruder. Dann seine Mutter. Und jetzt den Vater, den er ohnehin nie gehabt hatte.
Tristan ballte die Hand am Fensterrahmen zur Faust und stützte sich mit der Stirn darauf ab. Zur Hölle mit dem Earl. Er wollte nicht mehr an ihn denken. Es gab wichtigere Themen, zum Beispiel Christian. Tristan hatte so viele Jahre nach seinem Bruder gesucht. Nun hatte er endlich die Möglichkeit, ihn zu finden. Alles, was er brauchte, waren Reeves’ Informationen und ein wenig Zeit.
Er rieb sich über das Kinn. Das Kratzen seiner Bartstoppeln kam ihm dabei selbst ziemlich laut vor. Als Prudence hinausgerauscht war, hatte er an ihrem Kinn noch eine gerötete Stelle entdeckt, die weniger mit Verlegenheit als mit seinem Bart zu tun gehabt hatte. Wenn die verführerische Dame ab jetzt häufiger zu Besuch kam, würde er sich wohl öfter rasieren müssen.
Prudence. Auch wenn ihm das Herz schwer war, lächelte er. Der Name passte zu ihr. Prudentia. Die Umsichtige. Die Erinnerung an den Kuss blieb, seine Unterlippe kribbelte, als könnte er ihre Berührung noch spüren. Die Umarmung hatte sie ziemlich aus der Bahn geworfen. Er musste einräumen, dass es ihm Spaß machte, sie so aufgescheucht zu erleben.
So von seinen Küssen gezeichnet, sah sie weitaus anziehender aus. Anziehender und ... Er spitzte die Lippen und überlegte, wie genau sie ausgesehen hatte, als er sie endlich freigab. Um ehrlich zu sein, ziemlich liederlich. Diese Frau hatte Feuer im Herzen. Feuer und ein sinnliches Wesen, das nur darauf wartete, befreit zu werden.
Bloß schade, dass sie nun einmal eine Frau zum Heiraten war. Wenn sie zu denen gehört hätte, die mit ihren Reizen freizügiger umgingen, hätte er sich vielleicht eher bemüht, sich mit ihr gut zu stellen. Beziehungsweise gut zu legen.
Prudence war schön, feurig, klug und freimütig. Kurz gesagt, genau die Art Frau, die er mied wie der Teufel das Weihwasser. Die Vorstellung, eine eigene Familie zu gründen, war ihm widerwärtig. Er war ein ruheloser Mann, ein Seemann. Immer nur an einem Ort zu bleiben behagte ihm nicht, deswegen war seine Verletzung ja auch eine so schlimme Prüfung für ihn.
Allein der Gedanke, an ein Haus - ein Heim - gefesselt zu sein, war ihm unangenehm, weswegen er sich auch nicht an der Invasion seiner Männer störte. Er hätte das verflixte Cottage ja kaufen können, doch er betrachtete es nicht als Heim. Seit er an Bord des Schiffes gepresst wurde, war keiner der Orte, an denen er sein Haupt zum Schlaf gebettet hatte, ein Heim für ihn gewesen.
Deswegen konnte eine Beziehung mit einer Frau wie Prudence nur zu Herzeleid führen. Sie war eine Frau, die ein Heim schuf, wo immer sie sich aufhielt. Es wäre ihr nicht recht, von einem Kontinent zum nächsten zu ziehen, was Tristan fest vorhatte, sobald seine Männer versorgt waren. Sie würde ein Haus mit Vorhängen und einem Garten wollen und einen Ehemann, der es genoss, Abend für Abend am Feuer zu sitzen.
Er war nicht im Geringsten interessiert daran, in den Hafen der Ehe einzulaufen. Nicht in diesem Leben. Er hatte schon zu viel um die Ohren, seine Mannschaft versorgen, seinen Bruder finden. Außerdem war er fast sein ganzes Leben lang auf sich gestellt gewesen, und so schlimm war das gar nicht. Eigentlich hatte er seit ... Christian niemanden mehr gehabt, der zu ihm gehörte.
Ein merkwürdiger Stich fuhr Tristan durchs Herz. Wie ging es seinem Bruder? Waren die Jahre freundlich zu ihm gewesen? Oder nicht? Diese Fragen hatten ihn so lange gequält, bis er irgendwann einmal aufgehört hatte, sie zu stellen, weil er es nicht mehr ertrug. Er hatte einfach die Suche eingestellt. Die Hoffnung aufgegeben.
Bis Reeves zu ihm gekommen war.
Tristan senkte den Blick. Er hielt seinen Stock so fest umklammert, dass seine Finger wehtaten. Es war schwer, an seinen Bruder zu denken.
Doch gleichzeitig lag damit auch eine neue Herausforderung vor ihm. Unbekannte
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