Korsar und Kavalier
Fahrwasser, die es zu navigieren galt. Er würde sich der Herausforderung stellen. Er würde Christian finden. Und er würde auch das Kapital von den Treuhändern erringen. Das Leben verlangte manchmal Kompromisse, die anstrengend und schwierig waren.
Er blickte zu seinem Schreibtisch. Dort lag das Testament, fast als wollte es ihn verspotten. Er hatte es gelesen, jedes einzelne Wort, und konnte immer noch nicht glauben, was dort geschrieben stand. Auch nicht, wie viel Geld der alte Earl hinterlassen hatte, nicht nur ihm, sondern auch Christian.
„Verdammt noch mal, wo ist Reeves?“ Tristan blickte zum Fenster. Er brauchte den Butler. Er sollte ihm helfen, Christian zu finden und die Treuhänder zufriedenzustellen.
Im Gegensatz zu anderen Seehelden hatte Tristan die Öffentlichkeit gemieden. Er hasste die Unaufrichtigkeit, all den Samt und die Seide, welche die kalten Herzen und selbstsüchtigen Seelen verhüllten. Nach dem, was er von einem Vater wusste, konnte er sich lebhaft vorstellen, von welchem Schlag diese „Treuhänder“ waren. Tristan hätte die Victory verwettet, dass es sich dabei um lauter eingebildete, hochtrabende Idioten handelte.
Tristan blickte zur Scheune, sah den anheimelnden Lichtschein, der durch die Ritzen in der Tür nach draußen in den dunkler werdenden Hof quoll. Er war stark in Versuchung, die kurze Strecke zu gehen und nachzusehen, wer von seinen Männern das Essen mit Reeves’ Truppe einzunehmen beschlossen hatte. Toggle wäre sicher noch da, der Mann lebte nur für seinen Magen. Und vielleicht noch ein, zwei andere. Vermutlich konnte er es ihnen nicht einmal zum Vorwurf machen, schließlich bekamen sie nicht oft derart köstliches Essen vorgesetzt.
Im Gegenteil, die Kost wurde immer schmaler, die Quartiere wurden immer enger. Wie auf einem Schiff, das weit entfernt vom Festland auf hoher See unterwegs war, wurden bei ihnen auch allmählich die Vorräte knapp. In diesem Moment lagen auf Tristans Schreibtisch ein paar säuberlich in einer Ecke aufgestapelte Rechnungen, deren Bezahlung nicht mehr lange aufgeschoben werden konnte. Seine eigenen Mittel waren schon aufs Äußerste strapaziert, und doch schien es immer noch einen weiteren Seemann zu geben, der aufgenommen werden wollte.
Tristan schüttelte den Kopf. Darüber wollte er ein andermal nachdenken. Jetzt würde er sich erst einmal den Namen der Soße merken, welche den Bootsmann so erfreut hatte. Das war doch etwas, was sich zu merken lohnte, befand er, während sein Magen knurrte. Er blickte auf die Uhr auf dem Kaminsims.
Verdammt, es war beinah sechs Uhr. Wo blieb das Dinner, zum Kuckuck? Um diese Uhrzeit hätte der Koch die Rationen normalerweise längst auf den Tisch gebracht.
Tristan hinkte zur Tür und öffnete. „Stevens! “ Von draußen kam nur eine merkwürdige Stille. In Tristans Ohren klang es fast so, als wäre er allein im Haus.
Das war merkwürdig. Im ganzen letzten Jahr war das nur höchst selten geschehen. Tristan ging den Flur hinunter. Die seltsame Stille schien noch anzuschwellen. Waren denn all seine Männer in der Scheune? Und was war mit seinem Abendessen?
Leise vor sich hin knurrend, nahm er den Mantel vom Haken und zog ihn an. Dann ging er nach draußen. Aus der Scheune drang ohrenbetäubender Lärm.
Tristan öffnete das Tor und blieb stocksteif stehen, als er sah, welcher Anblick sich ihm bot. Der Raum hatte schon zuvor verändert gewirkt, doch nun war er wie verwandelt. Die ganze Scheune war makellos sauber, der lange, schmale Tisch in der Mitte von einer schneeweißen Tischdecke bedeckt und mit blinkendem Tafelsilber und blitzendem Porzellan eingedeckt. Große silberne Kerzenhalter und in regelmäßigen Abständen platzierte Suppenterrinen zierten die Mitte.
Was ihn aber mehr erstaunte als alle Herrlichkeiten war der Umstand, dass wirklich all seine Männer hier saßen. Sogar Stevens, der fast wie ein König am Kopfende der Tafel thronte und mit seliger Miene die ausgebreiteten Köstlichkeiten begutachtete.
Teufel noch mal. Seine gesamte Mannschaft hatte das Schiff verlassen. Der Anblick versetzte ihm einen kleinen Stich.
„Mylord?“, wurde hinter ihm leise gefragt. Tristan drehte sich um und sah sich Reeves gegenüber, der neben sich einen kleinen Mann mit sehr großem, sehr schwarzem Schnurrbart stehen hatte.
Reeves verbeugte sich. „Mylord, gestatten Sie, dass ich Ihnen den Küchenchef vorstelle, Signore Pietra.“
„Pietra? Das ist doch Italienisch.“
„In der Tat,
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