Korsar und Kavalier
schon den Mund auf, um Einwände zu erheben, als ihm ein kleiner, interessanter Gedanke durch den Kopf schoss. Wenn er sich zu dem geplanten Unterricht bereit erklärte, wäre die köstliche Prudence in seinem Haus.
Allein mit ihm.
Stundenlang.
Er grinste über das ganze Gesicht. Vielleicht wäre es doch nicht so unangenehm, zu lernen, sich wie ein Earl zu benehmen, wenn dabei eine so reizende junge Frau in seiner Nähe weilte. Und so konnte er dann auch aus vollem Herzen erklären: „Reeves, Sie sind ein Genie.“
Reeves lächelte bereits. „Vielen Dank, Mylord. Ich bemühe mich nach Kräften. “
Prudence nahm den Nähkorb auf ihren Schoß und begann nach rotem Stopfgarn zu suchen. Eines Tages würde sie in ihrem Korb einmal gründlich Ordnung schaffen, ganz bestimmt. Würde sie all die Garne nach Farben sortieren und auf Kärtchen wickeln und die lose herumfliegenden Flicken in einem ordentlichen Beutel verstauen. Vielleicht würde sie sogar die Stecknadeln in das dafür vorgesehene Nadelkissen stecken, statt sie in dem unvollendeten Hemdenmodell von letztem Jahr zu belassen.
Sie zog ein paar Wollstrümpfe heraus und betrachtete das Loch im großen Zeh. „Verflixtes Ding“, schimpfte sie und fragte sich, ob das violette Stopfgarn einigermaßen zu der roten Sockenwolle passen könnte, nachdem ihr das rote Garn anscheinend abhandengekommen war.
Zwar war es unbefriedigend, sich einen bereits mehrfach gestopften Strumpf noch einmal vorzunehmen, doch ihr blieb keine andere Wahl. Ihre finanziellen Mittel waren bald erschöpft. Wenn sie nicht schnell ein paar Schülerinnen bekamen, würden sie etwas von ihrem kostbaren Mobiliar veräußern müssen.
Seufzend beugte sich Prudence über ihre Arbeit und reparierte den Strumpf, so gut sie konnte.
Die Tür ging auf, und ihre Mutter kam hereingeeilt, eine Hand am Spitzenhäubchen, damit es nicht verloren ging. Ihre Augen leuchteten auf, als sie ihre Tochter entdeckte. „Prudence! Draußen ist ein Mann, der dich besuchen möchte.“ Der Captain. Prudence sprang auf, wobei ihr Nähkörbchen zu Boden fiel. „Der Captain ist hier? Jetzt?“
„Nein, nein! Es ist nicht der Captain. Der hier ist älter. Sehr distinguiert.“ Ihre Mutter reckte den Hals und sah den Flur hinunter, wobei sie in lautem Bühnenflüstern hinzufügte: „Ich frage mich, ob er wohl von Adel ist. Er wirkt so vornehm, aber ich habe ihn noch nie gesehen. “
Ein Adeliger? Prudence wurde übel. Sie erinnerte sich noch gut an damals, als die Herren, die in Phillips Unternehmung investiert hatten, sie persönlich zu Hause aufsuchten, einer nach dem anderen. Manche waren zornig gewesen. Andere traurig. Am schlimmstem aber waren die Verzweifelten gewesen. Sie hatten ihr gesamtes Vermögen in Phillips Hände gelegt und wollten nun, dass ihnen jemand - irgendjemand -versicherte, dass sie ihr Geld zurückbekommen würden.
Prudence hatte damals noch unter Schock gestanden wegen Phillips Krankheit. Sie hatte nicht gewusst, wohin sie sich wenden sollte. Die Unterredungen waren quälend gewesen, aber nicht so quälend wie Phillips Tod und der darauf folgende Skandal. Sie schob die unwillkommenen Gedanken beiseite und strich sich mechanisch den Rock glatt.
Ihre Mutter stellte sich neben dem Sofa auf, das Prudences Sessel gegenüberstand.
Mrs. Fieldings betrat das Zimmer, hinter sich den Gentleman. Die Haushälterin wirkte beeindruckt. „Mr. Reeves, Madam.“
Der Herr war groß und schlank und trug einen makellosen schwarzen Rock und ein schlichtes Krawattentuch. Seine Augen funkelten lebhaft, und sein dunkles Haar wies über beiden Ohren eine graue Strähne auf. Er verbeugte sich. „Madam, mein Name ist Reeves. Ich bin der Butler des Earl of Rochester. “
Prudence verharrte mitten im Knicks. „Des Earl of Rochester?“
„In der Tat.“
Prudence wusste nicht, was sie sagen sollte. Mit etwas Verspätung deutete sie auf ihre Mutter. „Das ist meine Mutter, Mrs. Crumpton.“
Ihre Mutter knickste. „Mr. Reeves! Butler des Earl of Rochester! Wie aufregend! Ich wusste gar nicht, dass hier in der Gegend ein Earl lebt.“
„Mutter, ich glaube, Mr. Reeves bezieht sich auf den Captain.“
Mrs. Crumpton riss die Augen auf. „Den Captain? Er ist ein Earl? Ein echter Earl?“
Reeves nickte gemessen. „In der Tat, Madam. Er hat den Titel erst diese Woche geerbt. Deswegen bin ich hier.“ Er wandte sich an Prudence, den Blick auf den Boden bei ihren Füßen gerichtet. „Hoffentlich störe ich Sie
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