Kosaken Liebe
schattenlos, von einem Licht überzogen wie am ersten Schöpfungstag, als Gott die Sonne ausprobierte.
»Jetzt geht es schnell«, sagte Lupin.
»Was, Väterchen?«
»Die Flucht. Wir werden die ganze Nacht hindurch reiten … Jermak muß weiter, er wird niemanden hinter uns herschicken. Unsere Flucht ist bereits gelungen, Marinuschka.«
Marina Alexandrowna blickte an ihrem Vater vorbei auf die dampfende Pferdeherde und zu den aufleuchtenden Biwakfeuern. Wie schwer ist es, einem Vater zu sagen, daß er soviel Kraft und Glauben umsonst aufgewendet hat! Wie schwer, ihm begreiflich zu machen, daß es mehr gibt als Nowo Orpotschkow und daß das Leben voller Sehnsucht nach der Weite des Unbekannten sein kann!
Wir sind keine Bäume, Väterchen, keine Pflanzen, die in der Erde wurzeln … Wir sind junge Menschen, und die Welt ist so groß außerhalb von Nowo Orpotschkow. Und Iwan Matwejewitsch ist da … Du kennst ihn nicht, aber weil er mir das Leben rettete, sollte er für dich wie ein Sohn sein …
»Ich will nicht flüchten, Väterchen«, sagte sie leise. »Ich muß die Pferde tränken.«
Lupin streckte den Schädel vor, als habe er nicht richtig gehört. »Du willst nicht …«, sagte er tonlos.
»Nein, Väterchen.«
»Freiwillig bist du bei …« Es war so ungeheuerlich, daß Lupin verstummte.
»Ja, Väterchen.«
»Du willst nicht zurückkommen in unser neues Dorf?«
»Nicht jetzt. Später bestimmt …«
»Marinuschka …« Lupins Gesicht zuckte. Tränen rollten ihm über die Wangen, und er wußte nicht mehr, was er sagen und tun sollte. Er kraulte verzweifelt mit beiden Händen seine eisgrauen Haare. Sie bleibt bei den Kosaken! Mein Töchterchen, mein einziges Hab und Gut, mein ganzes Leben!
»Was soll aus mir werden?« fragte er schließlich.
»Wir sehen uns wieder, Väterchen.«
»Das ist alles? Alles, was mir von dir übrigbleibt? Warten … warten auf mein Töchterchen. Immer nur warten, ob du wirklich wiederkommst … Ist das ein Leben?«
»Ist es ein Leben in Nowo Orpotschkow?«
»Ja!«
»Ich sage nein, Väterchen.« Marina lehnte sich gegen ihr Kosakenpferd. Es war daran gewöhnt, es stand still und steif wie ein Denkmal. Nur die Ohren bewegten sich, und durch die Nüstern dampfte der Atem. »Was hätte ich im Dorf getan? Den Garten bestellt, einen Bauern geheiratet, Kinder geboren, am Herd gestanden, und irgendwann wäre ich gestorben. Hat man dafür sein Leben geschenkt bekommen?«
»Was hat deine Mutter denn anderes getan?« stammelte Lupin. Ist sie noch meine Tochter? dachte er. Ist sie das noch? Ihre Augen, ihre Nase, ihr Mund, ihr engelsgleiches Gesicht – das ist geblieben. Aber welch ein Geist haust jetzt hinter dieser schönen Stirn! Marinuschka, ich weine …
Lupin schluchzte, legte beide Hände vor das Gesicht und wartete auf weitere Erklärungen.
»Meine Mutter?« wiederholte Marina. »Was war sie denn schon? Ein Tier auf zwei Beinen … Draußen arbeiteten die Ochsen und Pferde, drinnen im Haus arbeitete sie. Wo war da ein Unterschied? Selbst denken wollte sie nicht, das war deine Aufgabe, Väterchen. Ich will nicht so werden.«
»Du willst mordend und brennend mit den Kosaken durch das Land reiten?« fragte Lupin mit bleierner Zunge. »Meine Tochter will …« Er ließ die Hände fallen und starrte sie an. »Warum habe ich nicht die Kraft, dich jetzt zu töten und mich dazu? Wie kann man so weiterleben?«
»Ich werde nicht rauben und brennen!«
»Aber sie!« Lupin streckte den Arm aus. »Sie!«
»Was kümmern mich die anderen? Es geht um mich und Iwan Matwejewitsch.«
»Dieser Kosak!« Lupin keuchte, als stemme er einen Wagen durch knietiefen Schlamm. »Du bist in ihn verliebt?«
»Ich weiß nicht, was Liebe ist.« Sie rückte die rote Mütze tiefer in ihr Gesicht. »Aber wenn es das ist, was ich tue … dann hast du recht.«
»Und was tust du?«
»Ich mache aus Iwan Matwejewitsch einen Menschen!«
»Aus einem Kosaken?«
»Ja!«
»Der Himmel verzeih mir, aber ich habe keine Tochter mehr, sondern ein leergeblasenes Ei. Ein Kosak – ein Mensch? Eher machst du aus einem Wolf einen Schoßhund!«
»Sicherlich!« Sie lächelte leicht. »Muschkow ist schon zahmer geworden. Jeder Baum braucht seine Zeit zum Wachsen – warum nicht ein Mensch? Du verstehst mich nicht, Väterchen.«
»Nein, ich verstehe dich nicht mehr, Marinuschka.« Lupin wandte sich zum Fluß. Die Nacht deckte langsam das Land zu, die Sonne war nur noch zu ahnen. »Vielleicht bin ich zu alt dazu.« Er
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