Kosmologie für Fußgänger
entsprechende Erhebung der starren Erdkruste.
Damit wäre die Ursache für die Flut geklärt. Was aber ist mit der Ebbe? Wenn in den Punkten A und B Flut herrscht, dann ist Ebbe an den Orten, die von A und B jeweils ein Viertel des Erdumfangs entfernt sind, also auf halber Strecke zwischen A und B. Eine genaue Analyse der dortigen Verhältnisse ergibt, dass hier nur eine Kraft in Richtung auf den Erdmittelpunkt übrig bleibt. Da das Wasser aber nicht in die Erde hineingedrückt werden kann, bleibt ihm nichts anders übrig, als in Richtung auf die Punkte A und B auszuweichen und somit zur Höhe der Flutberge beizutragen.
In erster Näherung bilden sich also die Flutberge immer auf den beiden Seiten der Erdoberfläche, die auf der Verbindungslinie Erde-Mond liegen, wogegen Ebbe an den um 90 Grad versetzten Orten herrscht. Da sich die Erde aber in 24 Stunden einmal um ihre Achse dreht, die Flutberge aber immer zum beziehungsweise vom Mond weg ausgerichtet bleiben, wechseln sich an einem festen Ort im Laufe eines Tages Ebbe und Flut im Rhythmus von rund sechs Stunden ab.
Wenn wir uns soeben der Formulierung »in erster Näherung« bedient haben, so deswegen, weil wir bisher den Einfluss der Sonne auf die Gezeiten unterschlagen haben. Aufgrund der sehr viel größeren Masse der Sonne ist die Anziehungskraft, die die Sonne auf die Erde ausübt, 179-mal größer als die des Mondes. Man könnte also glauben, dass die Sonne auf der Erde 179-mal mächtigere Flutwellen hervorrufen muss als der Mond. Doch erinnern wir uns an das, was wir uns über die Differenzkräfte merken sollten: Sie sind umgekehrt proportional zur dritten Potenz der Entfernung der beiden Körper. Folglich schlägt die große Entfernung der Sonne von der Erde weitaus stärker zu Buche als die gegenüber dem Mond riesige Sonnenmasse. Die Gezeitenkräfte, ausgelöst durch die Sonne, sind daher nicht einmal halb so groß wie die, die der Mond hervorruft. Aus diesem Grund überlagern sich den Mondflutwellen auch nur wesentlich schwächer ausgeprägte, von der Sonne verursachte Flutberge. Das führt letztlich zu einer geringfügigen örtlichen und zeitlichen Verschiebung von Ebbe und Flut.
Dass die Erde unter den Flutbergen hindurchrotiert, hat über längere Zeit hinweg einschneidende Konsequenzen. Bei diesem Vorgang flutschen die Wasserberge ja nicht völlig widerstandslos über die Erde, vielmehr entsteht dabei eine gewaltige Reibung. Und Reibung verbraucht Energie. Woher aber diese Energie nehmen? Nun, Reibung bremst Bewegung, und die Bewegung die hier gebremst werden kann ist die Rotation der Erde. Die Energie, die zur Überwindung der Reibung aufgebracht werden muss, stammt also aus der Umdrehungsenergie der Erde. Das heißt aber nichts anderes, als dass sich die Rotationsgeschwindigkeit der Erde im Laufe der Zeit zunehmend verlangsamt, der Tag wird länger. Für den Bremsvorgang ist aber auch noch eine andere Ursache verantwortlich. Auf Grund der Reibung des Wassers werden die Flutberge ein klein wenig in Richtung der Erdumdrehung mitgeschleppt. Folglich befinden sich die aufgetürmten Wassermassen nicht mehr genau auf der Verbindungslinie Erde-Mond, sondern sind etwas in Richtung der Erddrehung gegen diese Linie versetzt. Die Gravitation des Mondes versucht nun das »Davonlaufen« der Wasserberge zu verhindern und bremst somit ebenfalls die Erde in ihrer Umdrehung. Andererseits wirken aber auch die Wassermassen über ihre Gravitation auf den Mond ein. Der hinkt ja, von der Stellung der Flutberge aus gesehen, auf seiner Bahn etwas nach. Das führt dazu, dass wiederum der Mond in seinem Umlauf geringfügig beschleunigt wird. Wenn aufgrund dieser Vorgänge die Erde in ihrer Umdrehung immer langsamer wird, so bedeutet das aber auch, dass sie an Drehimpuls verliert. In einem geschlossenen System, wie es Erde und Mond bilden, kann Drehimpuls aber nicht verloren gehen. Was die Erde an Drehimpuls einbüßt, muss der Mond übernehmen. Das tut er, indem er sich zunehmend von der Erde entfernt und auf Umlaufbahnen mit immer größeren Radien steigt.
Wie groß sind denn nun diese Effekte wirklich? Was die Verlangsamung der Erdrotation betrifft, so scheint das zunächst kaum ins Gewicht zu fallen. In 100 Jahren wird der Tag nur um rund 1,6 Millisekunden länger. Aber in etwa 225 Millionen Jahren ist der Erdentag von 24 Stunden bereits auf 25 Stunden angewachsen. Und das geht immer weiter so. Kommt die Erde also irgendwann mal ganz zum Stillstand, dreht sie sich
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