Kosmologie für Fußgänger
irgendwann überhaupt nicht mehr? Auf diese Frage gibt es eine klare Antwort und die lautet: Nein! Denn spätestens dann, wenn die Erde für eine Umdrehung genauso lange braucht wie der Mond für einen Umlauf, ist das Spiel zu Ende. Von diesem Zeitpunkt an weist die Erde dem Mond immer die gleiche Seite zu, das heißt zwischen Erde und Mond herrscht Korotation. Die Flutberge werden also nicht mehr gezwungen, über die ganze Erde zu schwappen, sondern verbleiben vielmehr für immer an ein und demselben Ort: genau auf der Verbindungslinie Erde-Mond. Damit entfallen auch die Kräfte, die vorher die Erde abgebremst und den Mond beschleunigt haben – das Spiel ist also aus.
Jetzt wird auch verständlich, warum uns der Mond heute schon stets die gleiche Seite zuwendet. Das, was der Erde momentan widerfährt, hat natürlich auch der Mond erleiden müssen, aber in einem viel stärkeren Ausmaß. Durch die Gravitation der Erde wurden auch auf dem Mond Gezeiten hervorgerufen. Hier hat sich zwar nicht Wasser bewegt, sondern eben die Mondoberfläche gehoben und gesenkt. Aufgrund der großen Erdmasse waren die Gravitationskräfte viel stärker und somit auch der Bremseffekt ausgeprägter, sodass der Mond schon vor langer Zeit zur Korotation gezwungen wurde. Jetzt dreht sich der Mond während der Zeit, die er für einen Umlauf benötigt, einmal um die eigene Achse. In ferner Zukunft wird es ihm die Erde gleichtun, dann drehen sich beide während eines Mondumlaufs genau einmal um sich selbst.
Wenn die Erde in ihrer Rotation fortwährend gebremst wird, dann muss sie sich in der Vergangenheit ja wohl auch mal schneller gedreht haben. Wie schnell, lässt sich aus Ablagerungen von Korallen und aus der Schichtung von Sedimenten erschließen. So hat im Zeitalter des Mittleren Devon, also vor rund 370 Millionen Jahren, ein Tag nur 22 Stunden gedauert. Das Jahr bestand damals also aus rund 400 Tagen. Noch etwas früher, vor etwa 900 Millionen Jahren, war der Tag nur etwa 18 Stunden lang, und ein Jahr bestand aus 487 Tagen. Wollen wir wissen, wie es in der Frühzeit der Erdgeschichte war, so müssen wir rechnen. Theoretische Extrapolationen führen zu dem Ergebnis, dass die Erde vor gut zwei Milliarden Jahren für eine Umdrehung lediglich fünfeinhalb Stunden gebraucht haben soll. Wenn das stimmt, dann hat der Mond bis heute ganze Arbeit geleistet.
Um weiterspekulieren zu können, sollten wir jetzt endlich sagen, mit welcher Geschwindigkeit sich der Mond von der Erde entfernt. Zur Zeit sind es rund 3,8 Zentimeter pro Jahr. Früher war der Mond also näher an der Erde dran. Nach dem oben diskutierten Einschlagszenario hat sich der Mond in etwa zehn Erdradien Abstand gebildet, das waren 60 000 Kilometer! Was muss das für ein Himmel gewesen sein! Man konnte die Einschläge auf der sich abkühlenden Mondoberfläche direkt beobachten. Aber zu diesem Zeitpunkt gab es auf der Erde noch keine Augen, es gab noch nicht einmal Tiere. Einzig Einzeller schwebten durch die Meere. Für die Entwicklung von Leben muss diese große Nähe außerordentlich problematisch gewesen sein. Bei diesem geringen Erde-Mond-Abstand sind nämlich die Gezeitenkräfte enorm. Flutwellen von wahrhaft gigantischen Ausmaßen, die im Stundenrhythmus um die Erde rasten, waren die Folge. Aber der Mond bremste die Erde ab, er entfernte sich anfangs doch recht schnell von ihr, und das Leben auf der Erde wurde nicht zerstört.
Auch für diejenigen, welche die Gnade der sehr, sehr späten Geburt genießen werden und erst in einigen Millionen Jahren auf die Welt kommen, ist die Tatsache, dass sich der Mond in stetigem Maße von der Erde entfernt, eine schlechte Nachricht. Wollen sie nämlich eine Sonnenfinsternis beobachten, so wird die anders aussehen als heutzutage. Sonnenfinsternisse entstehen ja, wenn der Mond zwischen Sonne und Erde genau auf der Verbindungslinie Sonne-Erde steht. Aufgrund der derzeitigen Entfernungsverhältnisse zwischen Sonne und Erde und zwischen Erde und Mond ist der scheinbare Durchmesser des Mondes noch größer als jener der Sonne. Für kurze Zeit kann sich also die Sonne vollkommen hinter dem Mond verstecken. Das wird nicht immer so bleiben. Der Abstand Erde-Mond wird ständig größer, an der Entfernung der Erde zur Sonne ändert sich, wenn überhaupt, praktisch nichts. In etwa 440 Millionen Jahren kommt der Augenblick, da der scheinbare Durchmesser des Mondes für immer kleiner sein wird als jener der Sonne. Von diesem Moment an wird es keine
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