Kosmonensaga 1: Ambivalente Zone
muß fort - jetzt gleich!"
Theas schlanke Hand lag federleicht auf meinem Arm.
„Irgendetwas macht Ihnen plötzlich wieder Angst. Ruth, wollen Sie sich mir nicht anvertrauen?"
Ein zweites Mal an diesem Tag wollte ich mich nicht ohne ein Wort der Erklärung davonstehlen. Und vielleicht konnte sie mir helfen oder doch wenigstens raten. Immerhin war sie Astridin , eine Einheimische, und kannte sich im klinischen Labyrinth sicher besser aus als ich.
„Es ist wegen Mark. Er weiß nicht, wo ich bin. Er wird sich Sorgen machen. Und ich weiß nicht, was mit ihm ist. Wenn ihn die Malusiten finden -"
Ich brach ab. Allein die Vorstellung macht mich krank vor Angst.
„Ich muß zu ihm."
Aber es war zu spät. Über den Gesang der Vögel und den summenden Chor der Bienen legte sich der Mißton brüllender und johlender Stimmen. Der Frieden, in dem ich mich gewähnt hatte, war auf brutale Weise jäh zerstört. Entsetzen schnürte mir die Kehle zu. Ich keuchte:
„Sie sind da! Die Malusiten kommen hierher!"
Thea blieb die Ruhe selbst.
„Sie haben das Tor gefunden und geöffnet. Und jetzt feuern sie sich gegenseitig an und trauen sich nicht weiter. Ich kenne das, glauben Sie mir. Sie werden auch wieder abziehen." Wie sehr sie dieses Gesindel mit den roten Overalls verachtete, war deutlich zu spüren.
„Trotzdem", beharrte ich, „ich muß zu ihm!"
Ihre Hand gab mich nicht frei.
„Und an sich selbst, Kind, denken Sie nicht?"
„Wie", fragte ich verzweifelt, „könnte ich jetzt an mich selbst denken? Mark ist in Gefahr."
„So sehr lieben Sie ihn?"
Mir war, als sprächen wir aneinander vorbei. Entweder begriff sie meinen Beweggrund nicht - oder ich verstand den Sinn ihrer Frage nicht.
„Thea, um Himmels willen, wovon reden Sie? Was meinen Sie mit
Ihren Worten. Was soll das sein: Liebe?"
„Oh, Kindchen, Kindchen!" Ihre Augen forschten in meinem Gesicht. Und ungeachtet der Aufregung, in der ich mich befand, nahm ich wahr: Die Augen waren jung und so klar wie ein Diamant, aber der abschätzende Blick daraus war alt, erfahren und müde. Und je länger sie mich musterte, desto mehr zeigten sich darin Verständnis und Mitgefühl.
„Ich habe wohl einen Augenblick nicht daran gedacht, woher Sie kommen und was Sie von mir unterscheidet. Verzeihen Sie mir! Woher sollen Sie wissen, wovon ich spreche, wenn Sie doch Ihr ganzes Leben außerhalb der Zeit verbracht haben. Ohne diese, ohne die Zeit, sind Sie unsterblich - wenn auch auf eine andere Art als wir Astriden. Und zugleich sind Sie arm dran - betrogen um das höchste aller Güter."
Noch immer sprach sie für mich in Rätseln. Ich hatte genug davon. Ich wand mich in ihrem Griff, doch es wollte mir einfach nicht gelingen, mich zu befreien. Die federleichte Hand hielt mich gefangen wie ein Magnet. Nun, dann sollte diese Thea wenigstens erfahren, was ich von ihrem Gerede hielt.
„Ich pfeife auf die verdammte Zeit! Ich brauche sie nicht. Ich will sie nicht. Zeit macht vergänglich."
Die jungen Augen mit dem alten Blick blieben unverwandt auf mich gerichtet, aber plötzlich stand darin das ferne Leuchten seliger Erinnerung.
„Aber diese Vergänglichkeit, mein Kind, trägt eine wunderschöne Blüte. Das ist die Liebe."
Ob ich wollte oder nicht, ich fühlte mich von Theas einfachen Worten in Bann geschlagen. Und dagegen wehrte ich mich.
„Trotzdem", sagte ich, „ich will das nicht. Ich bin Kosmone. Ich will die Zeit nicht, und schon gar nicht will ich die Vergänglichkeit!"
Thea beantwortete meinen Ausfall mit einem nachsichtigen Lächeln.
„Dann sag mir nur noch eins, Kindchen. Sag mir, weshalb du ausgerechnet jetzt mit aller Gewalt zu ihm willst!"
Noch bevor ich eine Antwort gefunden hatte, mit der ich Thea nicht recht gegeben hätte, legte diese erneut den Arm um mich.
„Und jetzt kommen Sie! Es gibt noch einen anderen Weg."
Thea führte mich zu einem Gartenhäuschen. Sie öffnete die Tür. Das Licht fiel auf einen feuerroten Overall. Mit einem Aufschrei prallte ich zurück.
Thea beschwichtigte mich sofort.
„Keine Angst, Kindchen. Raffael ist nicht wie die anderen, auch wenn er sich in einer schwachen Stunde der Malus-Bande angeschlossen hat. Im Herzen ist er geblieben, wie er war: ein anständiger Astride . Er wird Sie sicher zu Ihrem Mark geleiten." Sie mochte spüren, daß ich zögerte, und fügte hinzu: „Sie dürfen sich ihm bedenkenlos anvertrauen. Nicht wahr, Raffael?"
Raffael legte eine Hand vor die Brust.
„Es wird mir eine Ehre
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