Kosmonensaga 1: Ambivalente Zone
spürte das Zucken, das dabei durch ihren Leib lief.
Tamara schnappte mir den Beutel aus der Hand und schnupperte.
„Erde? Heißt das, du warst da?"
Die Gier in der Stimme hätte mich warnen müssen. Ich blieb arglos.
„Ich bin auf dem Weg."
„Und den kennst du?"
„Ich meine, ich finde ihn."
Auf meinem Bauch setzte sich ihr Becken in kreisende Bewegungen. Das gefiel mir, und sie ließ es mich auskosten. Und als mein Verlangen spürbar neu erwacht war, sagte sie:
„Das kann eine lange Reise werden. Mit mir zusammen würdest du nicht unter Langeweile zu leiden haben."
Sie sagte es - und noch bevor mir dämmerte, was sie mir da anbot, ließ sie sich geschmeidig auf den Fußboden gleiten, warf sich ein Laken um die Schultern und entschwand im Waschraum. Fast zugleich fuhr die andere Tür auf, und Doktor Saul trat ein.
Bei aller Erleichterung, mich wohlbehalten vorzufinden, machte er einen niedergeschlagenen Eindruck. Wortlos fühlte er mir den Puls, leuchtete mir mit der Stablampe in die Pupillen, maß meinen Blutdruck und überprüfte meine Reflexe. Schließlich bemerkte er:
„Nun, wenigstens was, Brandis! Sie sind wieder so weit in Ordnung, daß Sie Bäume ausreißen können. Aber es gibt auch eine schlimme Nachricht - eine sehr schlimme Nachricht."
Als er, bevor er sie aussprach, die Augen schloß , wußte ich, daß er irgendwelche Bilder heraufbeschwor, die mir verborgen blieben.
„Was Sie angeht, Brandis", hob er dann an, „so hat mir Malus die Mär von einer eingeschleppten gefährlichen Seuche abgenommen. Er nahm Ihren Tod hin als eine Tatsache. Aber im zweiten Fall war ich nicht schnell genug mit der Spritze, um auch Ihre Co-Pilotin zu retten."
Doktor Saul verstummte und ließ den Rest dessen, was er zu sagen hatte, tonlos im Raum schwingen. Erst als er sich gefaßt hatte, kam er damit heraus.
„Ich konnte es nicht verhindern. Die Malusiten haben sie mitgenommen."
Er sah mich an, und ich ahnte, daß er sich bereithielt, mir mit seiner ärztlichen Kunst zur Seite zu stehen, falls ich zusammenbrach oder durchdrehte.
Nichts dergleichen hatte ich ihm zu bieten. Meine Reaktion spielte sich dort ab, wohin sein Blick nicht reichte - in meinem Inneren.
Mein Verstand behauptete, daß ich mich nach Erhalt dieser Nachricht entsetzt zeigen müßte , voller Schmerz und Trauer, aber kein vergleichbares Gefühl stellte sich ein. Es ging mir rund herum gut, und ich konnte die Mitteilung hinnehmen mit dem gewohnten Gleichmut des Kosmonen. Und wenn ich als solcher das Geschehen konsequent durchdachte, lief alles darauf hinaus, daß ich außer Gefahr war.
Malus und seine Horde waren abgerückt.
Mir kam eine Idee.
„Bitte Doc - lassen Sie mich allein."
Er nickte mit tiefem Verständnis.
„Sie wissen, wo ich zu finden bin."
In der offenen Tür drehte er sich noch einmal um.
„Es kann demnächst etwas unruhig werden. Der Hohe Rat will, daß das chaotische Eigenleben der Uhren, wie Sie das hier erlebt haben, einer neuen Ordnung weicht. Die Zeit soll jetzt dauerhaft etabliert werden. Man muß auch mal praktisch denken."
Dann war Doktor Saul fort, und ich zog die Tür zum Waschraum auf und sagte:
„Die Luft ist rein. Komm raus!"
Aber das alte hemmungslose Begehren stellte sich nur zögernd ein. Stattdessen machte mich ein Empfinden, etwas sehr Wertvolles verloren zu haben, wortkarg und nachdenklich. Eine nervöse Unruhe vibrierte in mir - nur zu vergleichen mit jener, die mich gezwungen hatte, mein beschauliches Dasein auf Cosmopol einzutauschen gegen das Risiko eines Aufbruchs ins Ungewisse. Wieder einmal konnte ich nicht den Finger auf die wunde Stelle legen.
Vor dem Spiegel hielt ich Zwiesprache mit mir selbst. An meiner Erscheinung war nichts verändert - abgesehen vom Umstand, daß ich dringend einer Rasur bedurfte. Trotzdem - kam es mir nur so vor, oder war es eine Tatsache: daß es in mir so etwas gab wie einen Bruch, daß ich zwei grundverschiedene Leben lebte? Irgendwie schien es eine Verbindung zu geben zu den warnenden Worten des Großmeisters. Sollte es wirklich so sein, daß ich Gefahr lief, mich zu verlieren? Ich mußte auf der Hut sein, und ich mußte das auslösende Moment finden.
Und dafür mußte ich zunächst den Staub von Astropol von meinen Schuhen abschütteln und in die unendliche Welt der glasklaren Gedanken zurückkehren, in der ich beheimatet gewesen war. Astropol mit seinen verwirrenden Gezeiten war schuld an meiner chaotischen Verfassung. Kritisch betrachtet war ich
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