Kostas Charistos 5 - Faule Kredite
jedem Mordfall, den ich übernehmen muss, Bescheid? Als klar war, dass es sich um eine Enthauptung handelt, habe ich sofort Gikas angerufen.« Nach einer kurzen Pause sage ich etwas ruhiger: »Wer hier wen informiert hat, ist im Moment auch zweitrangig. Ihr seid in einer prekären Lage: Obwohl ihr einen Tatverdächtigen festgenommen habt, gehen die Morde weiter. Daher wird Rechtsanwalt Leonidis uns allen - Staatsanwaltschaft und Kriminalpolizei - die Hölle heißmachen. Bis sein Mandant freikommt.«
Doch Stathakos entgegnet gleichmütig: »Höchstwahrscheinlich handelt es sich um zwei Täter, und wir haben eben erst den einen gefasst.«
Da ich keine Lust auf lange Diskussionen habe, suche ich bei Dimitriou von der Spurensicherung Zuflucht, der gerade auf mich zukommt. »Suchen wir nach etwas Bestimmtem, Herr Charitos?«
»Schauen Sie nach, ob er seine Brieftasche bei sich hat.«
Er fasst sofort in de Moors hintere Hosentasche, wo er das Portemonnaie auch findet. »Dreihundert Euro, also ist es kein Raubüberfall.« Er setzt seine Suche fort. »Ausweis kann ich aber keinen finden.«
Wenn er auch im Hotel nicht auftaucht, wurde er wohl gestohlen. Dann rufe ich Vlassopoulos herbei und schicke ihn auf einen ersten Erkundungsgang in die Ippodamou-Straße. Unterdessen gehe ich durch die Bar zurück zum Haupteingang, der auf die Athanassias-Straße führt. Dort ist es so ruhig wie üblich in Pangrati, die geparkten Wagen stehen hier stets alle am rechten Bordstein. Ein paar Schaulustige haben sich vor den Eingängen der umliegenden Wohnhäuser versammelt und unterhalten sich mit gesenkter Stimme miteinander. Als ich aus der Bar trete, ziehe ich alle Blicke auf mich. Schräg gegenüber entdecke ich eine Kurzwarenhandlung. Dorthin wende ich mich zuerst, da Ladenbesitzer die Straße und deren Bewohner üblicherweise gut im Blick haben.
Die Inhaberin mustert mich von Kopf bis Fuß. »Wenn Sie von der Steuerfahndung sind, dann können Sie meine Bücher gerne überprüfen. Bei mir hier ist alles in bester Ordnung.«
»Ich bin nicht von der Steuerfahndung. Seit wann werden Kurzwarenhandlungen gefilzt?«
»Wieso denn nicht? Bald werden die Bettler auf der Straße überprüft, ob sie die Mehrwertsteuer abführen. Gestern erst habe ich zu einem gesagt, der sich vor dem Laden hingesetzt hatte: >Stell bloß Spendenquittungen aus, sonst geht’s dir an den Kragen.<«
»Ich bin aber nicht von der Steuerfahndung, sondern von der Kriminalpolizei.«
Sie schaltet sofort. »Aha, also geht’s um den Mord.«
»Ja, ist Ihnen vielleicht irgendetwas Ungewöhnliches aufgefallen?«
Sie blickt mich verblüfft an. »Haben Sie schon mal eine Kurzwarenhandlung gesehen, die bis zum frühen Morgen aufhat?«, fragt sie.
»So habe ich das nicht gemeint. Ich will nur wissen, ob Ihnen etwas zu Ohren gekommen ist. Was hat die Bar für einen Ruf? Solche Informationen interessieren mich.«
»In den ganzen zehn Jahren, in denen es das Lokal hier gibt, hat sich noch nie ein Anwohner über Lärm oder sonst was beschwert. Es gab nicht den geringsten Anlass dafür. Warum man jetzt diesen Ausländer umgebracht hat und ob das mit den anderen beiden Morden zu tun hat, das müssen Sie ja besser wissen. Auf jeden Fall ist es nicht der erste warme Bruder, der so ein Ende nimmt. Da gab’s doch Tachtsis, diesen Schriftsteller, und auch diesen Reeder in Kolonaki. Sicher ist jedenfalls eins: Die Bar war unauffällig. Nassos ist ein anständiger Kerl, völlig unbescholten.«
Die übrigen Ermittlungen führen ebenfalls nicht weiter. Um alle Möglichkeiten auszuschöpfen, besuche ich noch die örtliche Polizeiwache, doch auch deren Leiter hat nichts Bemerkenswertes zu berichten. Der Ruf der Bar erweist sich als einwandfrei.
Deshalb fahre ich zusammen mit Dimitriou von der Spurensicherung zum Attica Plaza, da ich mir dort mehr Hinweise erhoffe als im Meetings. Unterwegs durchzuckt mich folgender Gedanke: Irgendwo ist mir kürzlich auch ein Bettler untergekommen. Nur wo? Obwohl ich mir das Hirn zermartere, will es mir nicht einfallen.
27
Die Fahrzeit von Pangrati zum Syntagma-Platz variiert von Fall zu Fall. Bei Aufzügen, Kundgebungen und Protestmärschen kann es Stunden dauern. Wenn man Glück hat, braucht man - ohne Demo - nur eine Viertelstunde. Heute aber haben wir das Glück gepachtet und schaffen die Strecke in zehn Minuten.
Dermitsakis erwartet uns bereits in der Lobby. Unser Eintreffen wird nur an der Rezeption registriert und bleibt von dem
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