Kostas Charistos 5 - Faule Kredite
Mineralwasserkisten und anderem Leergut vollgestellt. Mittendrin - zwischen Wodka-, Whisky- und Ginflaschen - liegt eine kopflose Leiche. Frau Georgias panische Reaktion ist vollkommen verständlich. Der Tote hat Jeans und ein hellblaues T-Shirt an, die Mokassins trägt er ohne Socken. An der linken Seite des T-Shirts wurde der Zettel mit dem Buchstaben »D« angeheftet.
»Der Kopf muss hier in der Nähe sein«, sage ich zu meinen Assistenten.
Wir müssen nicht lange suchen: Er ist neben einen Spind gerollt, der an der Rückwand des Gebäudes steht. Nach Frau Georgia bleibt nun auch mir die Spucke weg. Denn der Kopf gehört niemand anderem als Henryk de Moor, dem Analysten der Ratingagentur, der kürzlich in dem Fernsehinterview behauptet hatte, so etwas wie >Gesellschaft< gebe es nicht.
Die schmale Tür in der gegenüberliegenden Hofmauer muss zur Ippodamou-Straße führen. Schleunigst greife ich zu meinem Handy und erstatte Gikas Meldung. Drei aufeinanderfolgende Morde - die Situation wird langsam unangenehm.
»Das hat uns gerade noch gefehlt!«, kommentiert Gikas meinen kurzen Rapport. »Jetzt kommen wir nicht mehr darum herum: Ich muss den Polizeipräsidenten informieren, und Stathakos kann ich auch nicht an Ermittlungen hindern. Also sehen Sie zu, dass Sie mit der ersten Beweisaufnahme fertig sind, bevor die Antiterrortruppe auftaucht.«
Sissis’ Vorhersage ist also eingetroffen: Am Abend des Interviews hat er mir noch gesagt, dass er jetzt mit dem Mord an de Moor rechne. Aber damit er, wie er sagte, dem Mörder dann gleich für insgesamt drei Taten gratulieren kann, müssen wir ihn erst einmal finden.
Inzwischen ist auch Gerichtsmediziner Stavropoulos da und wirft einen flüchtigen Blick auf den Toten.
»Ich weiß nicht, warum Sie mir ständig kopflose Leichen vorsetzen«, meint er genervt, während er seine Chirurgenhandschuhe überzieht. »Empfehlen Sie Ihren Mördern doch zur Abwechslung mal ein Messer oder einen Revolver als Tatwaffe.«
Da ich nicht zum Scherzen aufgelegt bin, gehe ich auf seinen Kommentar nicht weiter ein. Vlassopoulos weise ich an, mir weiterhin vor Ort zur Hand zu gehen, und Dermitsakis, de Moors Hotel ausfindig zu machen. Dann kehre ich in die Bar zurück, um mich Frau Georgia zu widmen. Als mir Melanakis etwas erzählen will, falle ich ihm ins Wort: »Einen Moment, Frau Georgia ist zuerst dran. Sie hat schließlich die Leiche gefunden.«
Mittlerweile macht sie einen ruhigeren Eindruck. Ich hole mir einen Stuhl heran und setze mich ihr gegenüber hin. »Fühlen Sie sich besser? Können wir jetzt reden?«, frage ich fürsorglich.
»Ich versuch’s, aber es fällt mir schwer.«
»Das ist mir klar, deshalb fangen wir mit den einfachen Fragen an. Wann kommen Sie normalerweise zur Arbeit?«
»Relativ spät, so zwischen zehn und elf. Die Bar öffnet um acht Uhr abends. Das heißt, ich kann die Putzarbeit über den ganzen Tag verteilen.«
»Um wie viel Uhr waren Sie heute hier?«
»Etwas früher als sonst, so gegen halb zehn. Heute bin ich mit meiner Tochter zusammen aufgestanden, weil meine Enkelkinder ins Zeltlager gefahren sind. Seit mein nichtsnutziger Schwiegersohn mit einer anderen durchgebrannt ist, bleibt alles an uns beiden hängen. Als meine Tochter die beiden Kinder zum Reisebus gebracht hat, bin ich auch gleich zur Arbeit gefahren, um heute mal früher Feierabend zu machen.« Sie nippt an ihrem Glas Wasser und fährt fort: »Mit dem Reinemachen fange ich immer in der Bar an. Das heißt, ich sammle erst mal das Leergut in einer Ecke, räume Teller und Gläser in den Geschirrspüler, wische die Nischenplätze und die Tischchen sauber. So habe ich das heute auch gemacht. Den Boden habe ich mir ganz bis zum Schluss aufgehoben. Als ich dann die Tür aufgemacht habe, um im Hof den Staubsauger und den Wischmopp zu holen, da habe ich ihn gesehen…«
Das Bild taucht in ihrer Erinnerung wieder auf, und sie fährt sich mit der Hand über die Augen.
»Haben Sie nur den Körper gesehen? Oder auch den Kopf?«
»Nur den Körper. Da habe ich vor Schreck laut losgeschrien und bin zurück in die Bar gerannt. Bevor ich die Polizei anrufen konnte, musste ich mich erst einmal beruhigen.«
Eine Fortsetzung der Befragung hat wenig Sinn, da sie alles gesagt hat, was sie weiß. »In Ordnung, Frau Georgia. Geben Sie Herrn Vlassopoulos Ihre Adresse, damit wir Sie zur Vernehmung vorladen können. Dann können Sie gehen.«
Sie nickt erleichtert und erhebt sich. Vlassopoulos notiert ihre
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