Kostas Charistos 5 - Faule Kredite
übrigen Personal und den Gästen unbemerkt.
»Den Schlüssel habe ich«, meint Dermitsakis. »Zimmer 502.«
»Geh mit Dimitriou hoch, damit er schon mal loslegen kann. Ich spreche zuerst noch mit den Leuten am Empfang.«
»Keine Chance, zuerst will Sie der Hotelmanager sprechen.«
Und tatsächlich, sobald ich meinen Namen nenne, fordert mich umgehend eine dreißigjährige Rezeptionistin auf, ihr zu folgen. Die Direktion liegt im Erdgeschoss, gleich hinter dem Empfang. Hotelmanager Pouliassis kommt hinter seinem Schreibtisch hervor und streckt mir zur Begrüßung die Hand entgegen.
»Was ist mit unserem Hotelgast?«, will er wissen.
Schon durch die einleitende Frage fühle ich mich auf den Schlips getreten. »Herr Pouliassis, die Polizei teilt ihre Ermittlungsergebnisse nicht jedem Bürger einzeln mit. Was Ihrem Hotelgast zugestoßen ist, erfahren Sie dann aus der offiziellen Presseverlautbarung. Erst einmal benötige ich ein paar Auskünfte über Herrn de Moor. Bei wem kann ich sie einholen?«
»Da haben Sie mich missverstanden, Herr Kommissar. Herr de Moor ist Stammgast in unserem Hotel, und ich mache mir Sorgen um den guten Ruf unseres Hauses.«
»Ich kann Ihnen versichern, dass der Vorfall nichts mit Ihrem Hotel zu tun hat.«
»Dann bin ich ja beruhigt«, meint er erleichtert.
»Wer kann mir Näheres zu Herrn de Moor sagen?«
»Unser Empfangschef Herr Koutsouvelos.«
Nach einem kurzen Anruf erscheint ein großgewachsener, grauhaariger Mittvierziger in Livree.
»Herr Koutsouvelos, für wie lange hat Herr de Moor sein Hotelzimmer gebucht?«
»Ursprünglich für drei Tage. Am zweiten Tag hat er uns gemeldet, dass er gerne eine Woche Urlaub anschließen wollte.«
»Hat er Besuch empfangen?«
»Ja, er hatte geschäftliche Termine.«
»Woraus schließen Sie das?«
»Ich konnte von der Rezeption oder der Bar aus sehen, dass alle dicke Aktenordner bei den Treffen vor sich liegen hatten.« Nach einer kurzen Denkpause ergänzt er: »Außerdem hat de Moor in seinem Urlaub dann keinen Besuch mehr bekommen.«
»Ist er abends spät ins Hotel zurückgekehrt?«
Koutsouvelos lacht auf. »Herr Kommissar, alle Athenbesucher absolvieren zuerst einmal das Pflichtprogramm. Und was machen sie dann? Sie erkunden das Nachtleben. Besonders Mittel- und Nordeuropäer sind große Nachtschwärmer, da sie zu Hause mit den Hühnern schlafen gehen.«
»Also gut, das war’s. Dann gehe ich mal hoch in de Moors Zimmer.«
»Ich stehe Ihnen jederzeit zur Verfügung, wenn Sie noch etwas brauchen«, meint Pouliassis.
Ich bedanke mich und fahre in die fünfte Etage hoch. Dimitriou und Dermitsakis sind in Zimmer 502 bereits in Aktion. Dass das Bett ungemacht ist, deutet darauf hin, dass wir zum Glück vor dem Zimmerservice vor Ort waren. Ich blicke mich rasch um. De Moors Koffer liegt auf der Gepäckablage und auf dem kleinen Schreibtisch sein Laptop, der per Kabel mit dem Internet verbunden ist. Am Fuß des Schreibtisches wurde eine prall gefüllte Aktentasche abgestellt, doch sonst liegen keine Arbeitsunterlagen im Zimmer. Erst beim Öffnen der Aktentasche erblicke ich sie, und zwar fein säuberlich geordnet. Offenbar hat er, wie jeder vernünftige Mensch, während seiner Kurzferien keinen Blick auf seine Präsentationsmappen geworfen.
»Na, was gefunden?«, frage ich Dimitriou.
»Es gibt zahllose Fingerabdrücke, aber ich mache mir keine großen Hoffnungen. Neben denen des Opfers werden es bloß die vom Zimmerservice und vom Hotelpersonal sein. Den Laptop lassen wir von der Computer-Forensik durchchecken.«
Mein Versuch, den Koffer zu öffnen, bleibt erfolglos, da er mit einem Zahlenschloss versehen ist.
»Hab ich auch schon probiert«, meint Dimitriou. »Den lassen wir besser von unseren Kriminaltechnikern öffnen.«
Da mich der Koffer im Moment nicht weiterbringt, greife ich nach der Aktentasche und stelle sie aufs Bett. De Moors Personalausweis steckt im äußeren Fach. Also hat er ihn bei seinen nächtlichen Ausflügen im Hotel gelassen. Ich ziehe eine Mappe nach der anderen heraus und überfliege die Aufschriften. Die meisten Unterlagen betreffen die Ratingagentur Wallace & Cheney. Doch bei der letzten Ziehung lande ich einen Volltreffer: Die Akte trägt den Titel »Coordination and Investment Bank - Report.«
»Alle Unterlagen gehen an Lasaridis«, sage ich zu Dermitsakis. »Nur die Mappe hier kopierst du mir vorab.«
Meine nächste Station ist der Kleiderschrank. An den Kleiderbügeln hängen zwei Leinenhosen und
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