Kostas Charistos 5 - Faule Kredite
weiß ich doch, dass Katerina ihn immer wieder um Rat fragt. Das stört mich nicht im Geringsten. Vielmehr glaube ich, dass es ihr guttut. Sissis’ Meinung kann sie oft besser akzeptieren als meine Sicht der Dinge.
»In meinem Leben habe ich fast immer aufs falsche Pferd gesetzt«, sagt Sissis dann. »Nur bei deiner Tochter nicht. Schon bei eurem allerersten Besuch war mir klar, dass diese junge Frau alles richtig machen würde.«
Vor ein paar Jahren hatte Katerina plötzlich Zweifel, ob ihr Vater nicht vielleicht ein Folterknecht der Junta gewesen war. Da habe ich sie zu Sissis gebracht, damit sie aus erster Hand erfuhr, was Folter bedeutet. Als wir uns nach ihrer Unterredung mit Sissis in der Konditorei Kanakis trafen, wusste ich, dass Katerina einen Freund fürs Leben gefunden hatte.
»Auch bei ihrem Ehemann hat sie die richtige Wahl getroffen.«
»Danke, Lambros«, sage ich, denn das finde ich auch. »Wieso danke? Hast du ihn vielleicht ausgesucht?« Tja, eigentlich nicht. Anfangs hatte er mir überhaupt nicht gepasst.
Als ich nach acht Uhr nach Hause komme, sitzt Adriani auf ihrem Beobachtungsposten vor dem Fernsehgerät. Als sie die Tür gehen hört, ruft sie mir entgegen: »Sie haben ihn freigelassen!«
»Wen?«
»Den Schwarzen, der eingesperrt war, weil er angeblich diese Banker umgebracht hatte. Komm schnell, sie berichten gerade davon.«
Ich nehme rechtzeitig zur Stellungnahme des Polizeipräsidenten an ihrer Seite Platz. »Sobald es nach der Festnahme des Tatverdächtigen ein weiteres Opfer gab und sobald feststand, dass alle drei Morde auf die gleiche Art und Weise ausgeführt wurden, mussten wir Okamba aus der Untersuchungshaft entlassen. Trotzdem hat der Staatsanwalt bis zur vollständigen Aufklärung der Straftaten ein Ausreiseverbot verhängt.«
»Heißt das, der Südafrikaner steht weiterhin unter Tatverdacht?«, fragt ein mir unbekannter Reporter.
»Bis zur Festnahme des tatsächlichen Täters, ja.«
»Aber wie ist das möglich?«, funkt Sotiropoulos dazwischen. »Entschuldigen Sie, Herr Arvanitopoulos, aber der Autopsiebericht bestätigt doch, wie Sie sagen, dass alle drei Verbrechen vom selben Täter begangen wurden. Wie kann Okamba verdächtig sein, wenn er zum Zeitpunkt des dritten Mordes in U-Haft saß?«
»Jetzt hat er euren Präsidenten aber in der Mangel«, bemerkt Adriani.
Das ist Sotiropoulos’ Lieblingsspiel. Er treibt sein Gegenüber so lange in die Enge, bis es sich in Widersprüche verwickelt. Anfänglich hat er’s bei mir auf dieselbe Tour probiert, aber schon bald musste er aufgeben - vielleicht, weil ich seine Spielchen schon immer durchschaute -, und inzwischen kennen wir uns sowieso ganz gut.
»Wir ermitteln in alle Richtungen, Herr Sotiropoulos«, entgegnet der Polizeipräsident. »Eine Festlegung auf eine einzige Spur ist zurzeit noch verfrüht.«
Der Ausschnitt aus der Pressekonferenz endet hier, und die Moderatorin wird eingeblendet. »Das war, sehr geehrte Zuschauer, die Presseerklärung des Polizeipräsidenten. Die Interpretation bleibt Ihnen überlassen.«
»Auf mich macht die Polizei jedenfalls einen reichlich orientierungslosen Eindruck«, wirft der Nachrichtenkommentator ein.
»Offenbar meinte man, der Fall sei so gut wie erledigt, und muss nun feststellen, dass man noch keinen Schritt vorangekommen ist.«
Das Fernsehbild zeigt mittlerweile das Korydallos-Gefängnis. In Begleitung von Rechtsanwalt Leonidis tritt Okamba vor das Gefängnistor. Wie immer hinterlässt er einen stattlichen und unbeugsamen Eindruck. Die Reporter stürzen sich auf ihn, doch schließlich übernimmt Leonidis das Statement vor den Mikrofonen.
»Für mich bestand nie der geringste Zweifel an der Unschuld meines Mandanten«, erklärt er. »Die Verhängung des Ausreiseverbots betrachte ich als unrechtmäßig. Bill Okamba hat mit den Taten, die die Justiz und die Öffentlichkeit beschäftigen, nichts zu tun. Mein Mandant ist gerne bereit, die Polizei bei ihrer Arbeit zu unterstützen. Solange sie dabei besonnen vorgeht.«
Nach dieser letzten spitzen Bemerkung begibt er sich mit Okamba zu einem wartenden Wagen, an dessen Steuer Nick Sissimopoulos sitzt.
31
Heute sitzt Koula mir zum ersten Mal gegenüber, und auf meinem Schreibtisch liegt die Fotokopie des Berichts der Coordination and Investment Bank, der bei de Moor gefunden wurde. Er umfasst zehn engbeschriebene Seiten auf ganz normalem Papier ohne jegliches Firmenlogo. Ich fange nicht gleich an zu lesen, sondern rufe
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