Kostas Charitos 05 - Der Großaktionär
besser verstehen als »Frisiersalon Anna«? Der Laden ist jedenfalls groß und verfügt über sechs Frisierplätze, wovon bei meinem Eintritt nur einer belegt ist. Eine Mittdreißigerin, einfach gekleidet und ungeschminkt, frisiert eine Fünfzigjährige.
»Frau Anna?«
»Die bin ich.«
»Charitos, Sie hatten mich angerufen«, sage ich und lasse für alle Fälle den Kommissar weg.
»Ah, ja. Warten Sie, ich bin gleich fertig.«
Ich nehme auf einem Wartestuhl Platz, während Anna sich um die Frisur der Fünfzigjährigen kümmert, die augenscheinlich direkt vom Friseur zu einem Empfang geht, da sie ein teures Kleid trägt, perfekt geschminkt ist und all ihren Schmuck angelegt hat. Anna zupft noch ein wenig mit Kamm und Haarfön an ihr herum, bevor sie mit einem »Bitte schön, Sie sind fertig, Frau Kaliotou« zum Ende kommt.
Frau Kaliotou jedoch zeigt sich nicht gewillt aufzustehen, bevor sie nicht den Sitz ihrer Haare bis ins Detail nachkontrolliert hat. Ich bin drauf und dran, sie mit Gewalt aus dem Salon zu entfernen, da ich todmüde bin und gerne nach Hause möchte. Schließlich blickt sie auf ihre Uhr und springt mit einem »Gott, o Gott, bin ich spät dran, was wird Stratos bloß sagen!« auf, zahlt eilig, reserviert jedoch vor ihrem Abgang - als wäre sie beim Zahnarzt - schon einen Termin für den nächsten Besuch.
»Entschuldigen Sie, sie ist eine Nervensäge, aber eine gute Kundin«, rechtfertigt sich Anna mir gegenüber. Sie räumt rasch ihre Utensilien zusammen und fordert mich auf mitzukommen.
Neben dem hintersten Frisierplatz befindet sich eine Tür. Durch die führt sie mich in einen kleinen Raum, der auf den Hinterhof blickt. Ein kleiner Junge zwischen acht und zehn sitzt an einem Resopaltisch und macht augenscheinlich seine Hausaufgaben.
»Das ist Jannakis, mein Sohn«, stellt mir die Friseuse den Kleinen mit einem gewissen Stolz vor. »Nach der Schule bringe ich ihn hierher, weil ich ihn sonst nirgendwo unterbringen kann. Mein Mann und ich sind beide berufstätig. Vorgestern hatte er Geburtstag, und wir haben ihm eine Digitalkamera geschenkt. Seitdem hat Jannakis sie ständig bei sich und fotografiert alles, was ihm vor die Linse kommt. Das hat er auch gestern abend getan, als wir auf dem Heimweg waren, so gegen halb acht. Als ich am Abend in den Nachrichten die Vespa sah, die der Mörder für seine Flucht benutzt hatte, erinnerte ich mich plötzlich daran, daß wir unterwegs genau dasselbe Motorrad gesehen hatten. Und wie der Zufall es will, hat Jannakis neben all dem anderen auch die Vespa und ihren Fahrer fotografiert.«
Mir ist noch nicht klar, ob nun der ersehnte Augenblick gekommen ist, wo mir ein glücklicher Umstand den Täter in die Hände spielt, oder nicht. Aber in diesen Mordfällen habe ich mir schon so oft eine blutige Nase geholt, daß ich meinem Glück nicht ganz traue.
»Wo haben Sie das Motorrad gesehen?« frage ich die Friseuse.
»Also, das war so: Wir wohnen in der Voriou-Ipirou-Straße, dorthin gehen wir zu Fuß. Das Motorrad haben wir an der Ecke Rodopis- und Agyrokastrou-Straße gesehen.«
»Kann ich die Aufnahme sehen?«
»Ich zeige sie Ihnen gleich.«
Die Kamera liegt auf dem Tisch, auf dem Jannakis seine Schulhefte ausgebreitet hat, und sie greift nach ihr. Doch Jannakis reißt mit einer blitzschnellen Bewegung die Kamera an sich und hält sie fest.
»Jannakis, gib mir die Kamera, damit ich dem Herrn Kommissar die Fotos zeigen kann, die du gemacht hast«, sagt seine Mutter sanft.
»Nein!«
»Er nimmt dir die Kamera ja nicht weg, er will sich doch nur die Fotografien anschauen.«
»Nein!«
Anna wird schon langsam ungeduldig. »Komm schon, was ist denn in dich gefahren?« Und sie geht auf ihn zu, um ihm die Kamera aus der Hand zu nehmen.
Der Dreikäsehoch verpaßt ihr einen anständigen Tritt ans Schienbein und schreit mit hoher Stimme: »Nein, ich geb sie nicht her!«
Seine Mama stößt einen Schmerzensschrei aus, fährt jedoch fort, ihn zu bitten. »Komm, Jannakis, der Herr Kommissar will dir die Kamera doch nicht wegnehmen. Kommissare klauen nicht. Nur eine halbe Minute, damit er sich die Fotos anschauen kann, dann gibt er sie dir wieder zurück.«
»Nein! Laß mich in Ruh!«
Es folgen ein zweiter Tritt gegen ihr Schienbein und ein zweiter Schmerzensschrei: Die moderne griechische Mutter mit ihrem verzogenen Bengel. In dieser Kamera, die Jannakis fest in der
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