Kostas Charitos 06 - Die Kinderfrau
aber klar, dass ich nicht in offizieller Mission auftreten kann.«
»Darauf will ich ja hinaus: dass Sie um eine Gefälligkeit unter der Hand bitten.«
Ich kann mir nicht vorstellen, dass meine Vermittlung in dieser Sache von Nutzen ist. Was soll ich den türkischen Polizeibeamten denn sagen? Sie haben Vassiliadis korrekt geantwortet. Von uns hätte er auch nichts anderes zu hören bekommen. Worum sollte ich sie also darüber hinaus bitten? Dass sie sich ins Getümmel einer Fünfzehn-Millionen-Metropole stürzen sollten, um eine neunzigjährige Frau namens Maria zu finden? Ich gelange zur Schlussfolgerung, dass wir die Sache anders anpacken müssen.
»Lassen Sie mich erst mal mit der Polizeidirektion in Drama sprechen, damit man jemanden bei ihrem Bruder vorbeischickt. Dann sehen wir weiter. Wissen Sie, wie er heißt?«
»Jorgos oder Jannis Adamoglou, glaube ich. Adamoglou jedenfalls, in Bezug auf den Nachnamen bin ich mir sicher.«
»Und das Dorf?«
»Liegt am Stadtrand von Drama. Ich weiß nicht, ob es ein eigenes Dorf ist oder ein Stadtteil.«
Mit Stefanos Polyzos, dem Leiter der Polizeidirektion Drama, war ich kurzzeitig bei der Sitte, und wir kamen gut miteinander aus. So rufe ich ihn auf seinem Handy an und stelle ihm die Sachlage dar.
»Könnt ihr einen eurer Leute hinschicken und mit dem Bruder sprechen?«, frage ich abschließend. »Vielleicht hat er etwas von seiner Schwester gehört.«
Nach einer kurzen Pause vernehme ich Polyzos' Stimme: »Nicht nötig, wir waren schon dort.«
»Haben sich noch andere über das Verschwinden der Chambou gewundert?«, frage ich beunruhigt.
»Den Nachbarn war ein penetranter unangenehmer Geruch aufgefallen. Wir sind ins Haus eingedrungen und haben Jannis Adamoglou vorgefunden - er war tot, und zwar schon seit sechs Tagen.«
»Woran ist er gestorben?«
»Der Obduktionsbefund spricht von einer Vergiftung durch ein Pflanzenschutzmittel, Parathion beziehungsweise E 605. Ob es nun Selbstmord war oder ob er vergiftet wurde, untersuchen wir noch.«
»Und seine Schwester?«
»Spurlos verschwunden.«
»Besteht die Möglichkeit, dass auch sie vergiftet wurde?«
»Ziemlich unwahrscheinlich. Hätte sie zusammen mit ihrem Bruder gegessen, hätten wir sie auch im Haus finden müssen. Hätte sie das Gift erst später und an einem anderen Ort zu sich genommen, wäre sie vermutlich in ein Krankenhaus eingeliefert worden. Jedenfalls suchen wir sie.«
Der Schriftsteller Markos Vassiliadis starrt mich wie vom Donner gerührt an.
* 5
»How do you know?«, fragt mich der türkische Polizeibeamte.
Er ist Mitte dreißig, athletisch gebaut und trägt eine spöttische Miene zur Schau, die mir auf die Nerven geht, da ich dahinter die Arroganz der Regionalmacht Türkei dem armen kleinen Griechenland gegenüber erkenne. Sich-Auf-spielen oder Sich-auf-den-Schlips-getreten-Fühlen - das sind die typischen Reaktionsweisen der uniformierten Kräfte: der Bullen und der Etappenschweine. Doch das arme kleine Griechenland ist nunmehr als EU-Mitglied im Vorteil und die Türkei der arme Vetter aus dem Orient, der erfolglos Einlass in die Europäische Union begehrt.
Der Name des Polizeibeamten lautet Murat Soundso. Murat ist einfach, das habe ich mir gemerkt, doch den Nachnamen kann ich nicht behalten. Außerdem sprechen wir nicht direkt miteinander, wenn man von den englischen Brocken absieht, die er mir vorhin zugeworfen hat, sondern mittels eines Dolmetschers, nämlich Markos Vassiliadis. Ohne ihn hätten wir uns in dem rudimentären Englisch unterhalten müssen, das wir offensichtlich beide ganz prima beherrschen, doch Türken wie Griechen geben sich gern dem Müßiggang hin, daher ziehen wir beide den Weg des geringsten Widerstands vor und lassen Vassiliadis alles übersetzen.
»Woher wissen Sie, dass diese Maria Chambou in die Türkei eingereist ist?«, übersetzt Vassiliadis Murats Frage.
»Wir haben in allen Reisebüros in Thessaloniki nachgefragt. Daher wissen wir, in welchem und auch wann sie ihre Reise gebucht hat. Und da sie nachweislich den Bus von Thessaloniki nach Istanbul genommen hat, wird sie kaum in Sofia angekommen sein. Außerdem muss man nur ihre persönlichen Daten bei den Grenzkontrollbehörden abfragen, um ihr Einreisedatum zu verifizieren.«
Der Polizeibeamte spricht zwar mit Vassiliadis, wirft mir jedoch zwischendurch ein paar scheele Blicke zu.
»Der
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