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Kostas Charitos 06 - Die Kinderfrau

Kostas Charitos 06 - Die Kinderfrau

Titel: Kostas Charitos 06 - Die Kinderfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petros Markaris
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Genussmensch in Ihnen steckt, Herr Kommissar.«
      Ich selbst bin genauso verwundert, denn neben meiner Schwäche für Souflaki entdecke ich nunmehr auch meine Schwäche für die Süßspeisen des Orients. Dann bedeute ich Vassiliadis, er könne anfangen, worauf er tief Luft holt.
      »Maria muss 1915 geboren sein, so glaubt sie wenigstens. Ihre Familie war aus dem Schwarzmeergebiet geflohen und ließ sich 1922 in Istanbul nieder. Sie waren zu dritt: Maria, ihre Mutter und ihr Onkel, der Bruder ihres Vaters. Der Vater war in Eskisehir auf Seiten der griechischen Armee gefallen. Sie waren in der Hoffnung nach Istanbul gekommen, hier als Angehörige der griechischen Minderheit angesehen zu werden und eine Bleibe zu finden. Marias Mutter und ihr Schwager heirateten, und aus der Ehe ging Jannis, Marias Halbbruder, hervor. Eines schönen Tages packte Marias Onkel seine Familie zusammen, das heißt seine Frau und seinen Sohn, und zog fort nach Griechenland.«
      »Und was war mit Maria?«
      »Die haben sie bei irgendwelchen Tanten gelassen, Cousinen ihres Vaters, die mit ihrer Familie im Stadtviertel Fener lebten. Sie hatten ihr zwar versprochen, sie bald nach dem erfolgten Umzug nachzuholen, doch das haben sie nie wahrgemacht. Die Tanten haben sie widerwillig aufgenommen, und als sie merkten, dass ihre Familie nicht beabsichtigte, Maria nach Griechenland zu holen, haben sie beschlossen, das Mädchen von ihrem zwölften Lebensjahr an arbeiten zu schicken, um sie los zu sein. Maria sagte immer, das sei ihre Rettung gewesen, denn ihre Tanten hätten sie wesentlich schlimmer behandelt als ihre Arbeitgeber. Zuletzt kam sie in unsere Familie, wo sie viele Jahre blieb. Wie ich Ihnen schon erzählte, hat sie mich und vor allem meine Schwester aufgezogen.«
      »Und wie ist sie nach Drama gelangt?«, frage ich ihn, während ich einen Tee bestelle, um meine Hinwendung zum Orient zu krönen.
      Ein tiefer Seufzer löst sich aus seiner Brust, und es fällt ihm offenbar schwer fortzufahren: »Meine Eltern waren unter den Letzten, die Istanbul verlassen haben. Vor ihrer Abfahrt haben sie ihr einen Platz im Altersheim von Baloukli besorgt.« Er hält inne und sucht nach Worten: »Meine Eltern sollten anfangs bei mir wohnen. Doch die Athener Appartements sind nicht so geräumig wie die Wohnungen in Istanbul. Sie hatten Angst, Maria müsste vielleicht auf einem Notlager im Wohnzimmer übernachten, und dachten, sie wäre im Altersheim besser aufgehoben. Ein Jahr danach hat ihr Bruder sie angerufen und ihr vorgeschlagen, zu ihm zu ziehen.«
      »Hatte sie denn noch Kontakt zu ihm?«
      »Überhaupt nicht. Nicht zu ihrem Bruder und auch nicht zu ihrer Mutter. Die Familie hatte Maria ganz abgeschrieben.«
      »Und woher kam das plötzliche Interesse des Bruders?«
      »Da kann ich nur spekulieren. Aus Marias Erzählungen weiß ich, dass ihr Bruder ein alter Junggeselle war und bei seiner Mutter lebte. Als sie starb, blieb der Bruder allein zurück und suchte jemanden, der sich um ihn kümmerte. Der Gedanke lag nah, Maria zu sich zu holen, da sie sonst niemanden auf der Welt hatte.«
      »Da hat er die Rechnung ohne das Insektenvertilgungsmittel gemacht.«
      Er hebt verzweifelt die Hände, ohne weitere Worte. Wäre ich kein Polizeibeamter, würde ich sagen, recht ist dem alten Hagestolz geschehen, er hat es nicht anders verdient. Doch es gibt eine Frage, die man nicht durch Spekulationen beantworten kann. Warum ist Maria Chambou nach Istanbul zurückgekehrt? Sie hätte doch in dem Dorf bei Drama bleiben können, sie hätte eine Lügengeschichte über den Tod des Bruders erzählen können, und keiner hätte sie behelligt. Mit neunzig wird man diesbezüglich sowieso nicht mehr behelligt. Doch das hat sie nicht getan. Sie hat sich einen Pass besorgt, eine Busfahrkarte gebucht, ist nach Istanbul gereist und hat dann erfolgreich ihre Spuren verwischt. All das verursacht mir eine ungute Vorahnung, doch ich weiß nicht, worauf sich mein Gefühl bezieht.
      Gleich nach meiner Ankunft im Hotel rufe ich Gikas an und berichte ihm von den Vorfällen.
      »Nun, mit Hilfe des griechischen Konsulats werden Sie den Haftbefehl schon morgen in Händen halten«, sagt er,
      »dazu ein zweites Schreiben an die türkische Polizei, mit dem Ersuchen, Sie als Vertreter der griechischen Polizeibehörden anzuerkennen.«
      Ich brauche etwa eine Minute, um seine Worte zu verdauen, doch immer noch hege ich die schwache Hoffnung, ich

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